Viele Zahlen zu Gott und der Welt im Allensbacher Jahrbuch

Piercing? Papst? Pragmatismus?

Im Jahrbuch "Die Berliner Republik" des Allensbach-Instituts zeigen die Demoskopen, wie es um die Deutschen in den vergangenen Jahren bestellt war, was ihre Vorlieben und Schwächen waren. Natürlich finden sich auch viele Zahlen zum Glauben in dem Mammutwerk. Ein Überblick.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

«Ein Sittenbild der Berliner Republik», freut sich Sven Fund. Der Geschäftsführer des de-Gruyter-Verlags meint nicht die aktuellen Diskussionen über journalistische Bespitzelungen Politprominenter in der Hauptstadt, sondern lobt das zwölfte «Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie». Es fasst die Jahre 2003 bis 2009 zusammen. Dieses Kompendium der öffentlichen Meinung suche seinesgleichen.

Vieles eher nicht von Interesse
Das Jahrbuch stellt aktuelle Befunde und langfristige Trends zu einer bunten Palette von Themen zusammen. Tragen Frauen lieber Hosen oder Röcke? Wie steht es um die Männerkosmetik? Um die Bewertung des Piercings? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in dem 900-Seiten-Werk nach eigenem Bekunden «ein bisschen geschmökert» hatte, nannte bei der Vorstellung neben manch Ernstem diese drei Beispiele aus dem eher bunten Bereich des Nachschlagewerks.

Dieses große Kapitel «Einstellungen und Empfindungen» handelt Mode und Mut, Glückspilz- oder Pechvogel-Gefühle, Tränen, Spendenbereitschaft, Weihnachtsbäume, Duz- und Nies-Bräuche ab. Und, auf gut 30 Seiten, «Kirche und Glaubensfragen». Das sind acht Seiten mehr als 2002, was nicht dem Papst aus Deutschland, sondern elfseitigen Statistiken und Ausführungen zum Thema Islam geschuldet ist.
Misstrauen gegenüber dem Islam
Inzwischen betrachtet die Bevölkerung die Rolle des Islam auch in Deutschland mit wachsendem Misstrauen, schreiben Allensbach-Gründerin Elisabeth Noelle und Mitarbeiterin Thomas Petersen in dem Jahrbuch. Im Blick über die Jahre fällt auf, dass der Anteil derer, die in Deutschland Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung fürchten, 2002 geringer war als 2001 - und dann bis 2006 auf 60 Prozent und damit fast auf den doppelten Wert zu 2002 anstieg. Vor allem 2006 beschäftigte das Thema Islam die Meinungsforscher - mit Karikaturenstreit und Kampf der Kulturen, verletzten religiösen Gefühlen, Meinungsfreiheit und Zensur. In dem Trend liegt die Zweidrittelmehrheit, die 2008 für den Verzicht auf einen Moscheebau plädiert, falls die Bevölkerung in einem Stadtteil sich dagegen ausspricht.

Mit Papst Benedikt XVI. befassten sich die Demoskopen nach seiner Wahl im April 2005 diverse Male bis 2007. Gleich nach seiner Wahl und noch in «Wir sind Papst»-Tagen äußerten sich 42 Prozent der Deutschen erfreut über die Wahl eines Papstes aus Deutschland. Den Weltjugendtag einige Monate später mit dem Papst als Gast bewerteten deutlich mehr - 74 Prozent - als «eindrucksvolle Veranstaltung». Und immerhin 57 Prozent aller Deutschen fanden im Juni 2006, dass der Papst der Jugend auch heute noch etwas zu sagen habe. Seit 2007 startete Allensbach trotz Piusbrüdern kaum mehr Sachfragen zum Themenfeld Kirche.

Im Osten steigen die Gottesdienstbesuche
Zu einigen religiösen Aspekten bietet das Jahrbuch Langzeitstudien, so beim Gottesdienstbesuch. Da zeigen sich beim Anteil der Sonntag für Sonntag treuen Kirchgänger deutliche Unterschiede. Unter Katholiken in Ostdeutschland stieg deren Anteil von 2001 auf 2009 von 12 auf 17 Prozent, unter westdeutschen Katholiken sank er von 10 auf 8 Prozent. Bei Protestanten in den alten Bundesländern halbierte sich der Wert von 2 auf 1 Prozent - und bei ostdeutschen Protestanten war nach 2 Prozent kein Wert mehr zu ermitteln. Trotz dieser Werte im Sinkflug: Von 1990 auf 2006 stieg der Anteil zumindest der Westdeutschen, die an die Kraft des Gebets glauben, von 48 auf 52 Prozent, während diese Zuversicht im Osten allmählich schwindet.

Die neuesten Zahlen, die Allensbach-Chefin Renate Köcher zur Präsentation des Buches vorlegte, befassen sich unter anderem mit der Bewertung einer Politik zwischen «Prinzipientreue oder praktischen Lösungen». 69 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, rasch praktische Lösungen zu finden. 16 Prozent favorisierten es, wenn Politiker Prinzipien treu blieben. Von daher, so Köcher, sei es eine sehr pragmatische Politik «in einer sehr pragmatischen Gesellschaft». Das hörte auch die Bundeskanzlerin ganz aufmerksam.