Hotline für Aussteiger aus der islamistischen Szene eröffnet

Rückkehr zur Demokratie

Mit großer Spannung beobachten die Experten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) seit Dienstag die Telefonnummer 0221/7926999. Die bundesweit geschaltete Hotline bietet Islamisten in Deutschland die Chance, aus der gewaltbereiten Szene und aus dem Fanatismus auszusteigen.

 (DR)

Die Initiative des Bundesverfassungsschutzes will allen im Umfeld islamistischer Gruppierungen agierenden Personen in der Bundesrepublik Wege zu einem «selbstbestimmten und legalen Leben in der deutschen Gesellschaft aufzeigen», teilte der Bundesverfassungsschutz mit. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm setzen «große Hoffnungen» auf das Programm. Ob diese «neuen Kanäle» tatsächlich etwas bringen, beurteilen Berliner Innenexperten «ziemlich skeptisch».

Das Programm trägt den Namen «HATIF». Die Bezeichnung steht für «Heraus aus Terrorismus und islamistischem Fanatismus». «HATIF» ist auch das arabische Wort für Telefon. Aussteiger können sich auch per E-Mail über «HATIF@bfv.bund.de» sowie unter der «Internetadresse www. verfassungsschutz.de» an den Verfassungsschutz wenden. Absolute Vertraulichkeit und jegliche Geheimhaltung ist zugesagt. Mögliche Aussteiger sollen auf keinem Fall Lebensgefahren ausgesetzt werden, die ihnen wegen ihrer Ausstiegsabsichten aus der islamistischen Szene drohen könnten.

Beratung rund um die Uhr
Ein Verfassungsschützer erklärte der Nachrichtenagentur ddp am Dienstag, mit dem Programm sollte «sozusagen in letzter Minute versucht werden, die gefährliche Entwicklung im islamistischen Bereich in Deutschland in den Griff zu bekommen».

Rund um die Uhr stehen beim Verfassungsschutz in Köln besonders ausgebildete Mitarbeiter bereit, um Angehörige des islamistischen Terrains in «demokratische und rechtsstaatliche Strukturen zu bringen». «Wir wollen auf die Islamisten zugehen und sie bewegen, auf Gewalt im Namen des Islam zu verzichten», unterstrich der Verfassungsschützer. Die Berater an der Hotline bieten ihre Hilfe auch in arabischer und türkischer Sprache an.

29 islamistische Organisationen
Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes Ende Juni in Berlin hatte de Maziere erklärt, dass Islamisten Deutschland weiter im Visier haben. Ende vergangenen Jahres zählte der Verfassungsschutz in Deutschland 29 islamistische Organisationen, die bundesweit aktiv sind. Die Zahl der Islamisten in der Bundesrepublik wird jetzt auf über 36 000 geschätzt. 2008 waren es etwa 35 000. Das Aussteigerprogramm für die Islamisten ähnelt den Bemühungen des Verfassungsschutzes für aussteigewillige Rechtsextremisten, die 2001 eingeleitet wurden. Auch Aussteigern aus dem islamistischen Feld kann der Verfassungsschutz zu einer neuen Identität, zu einem neuen Arbeitsplatz und zu einer neuen Wohnung verhelfen.

Für früher begangene Delikte können die Verfassungsschützer in besonders gelagerten Fällen sogar bei Polizei und Staatsanwaltschaft möglicherweise eine Strafmilderung erreichen. Wer sich offenbare und umkehre oder bei weiteren Ermittlungen helfe, «für den haben wir einiges zu bieten», berichtete ein mit dem Aussteigerprogramm für Islamisten befasster Verfassungsschützer. «Wir haben da einiges im Köcher», meinte der Experte.

Erfahrungen in Großbritannien und den Niederlanden
Das BfV ist nämlich nicht an das Legalitätsprinzip gebunden, das heißt, es ist nicht in jedem Fall verpflichtet, Täter der Strafverfolgung zuzuführen. Dem Verfassungsschutz ist eine «Berater- und Vermittlerfunktion» vorbehalten. Das wurde bereits beim einstigen Aussteigerprogramm für die Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion (RAF) erprobt. Erfahrungen mit Programmen für aussteigewillige Islamisten gibt es bisher in Großbritannien und den Niederlanden.

Die Initiative des Verfassungsschutzes will auf keinen Fall eine theologische Auslegung des Islam vornehmen und will unter keinen Umständen zur Abkehr vom Islam bewegen. «Wir wollen ausschließlich mit Hilfesuchenden Wege aus der gewaltbereiten Szene suchen», betonen die Verfassungsschutzmitarbeiter.

Nach ddp-Informationen könnte das Aussteigerprogramm auch eine «interessante Entwicklung» für deutsche Islamisten bedeuten, die aus den pakistanischen Krisenregionen nach Deutschland zurückkommen wollen. Nach Berichten von Geheimdiensten hat sich unter den etwa 40 islamistischen deutschen Kämpfern in Pakistan zunehmend Angst und Resignation breitgemacht. Mehrere von ihnen wollen aufgeben und in die Bundesrepublik zurückkehren, berichteten die Geheimdienste aus Pakistan.