In Niger sind 20 Prozent der Menschen akut bedroht

Die vergessene Hungerkatastrophe

Eigentlich könnte es ein Grund zum Feiern sein: Schließlich wurde das westafrikanische Land Niger vor 50 Jahren, im August 1960, unabhängig von der einstigen Kolonialmacht Frankreich. Doch an Partystimmung ist bei den rund 13,4 Millionen Einwohnern nicht zu denken.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

«Die Lage im Land ist besorgniserregend», so Achim Reinke, Pressereferent von Caritas International. Denn mittlerweile sei jeder fünfte Einwohner Nigers von der Hungersnot betroffen.

Durch den fehlenden Regen im vergangenen Jahr ist die Ernte weitgehend ausgeblieben; die Vorratskammern sind längst leer. Normalerweise, so Reinke, hätte eine kleinbäuerliche Familie genügend Reis und Getreide, um drei Monate lang zu überleben. Mittlerweile reichen die Vorräte gerade mal für zehn Tage. Auch das Vieh stirbt. Familien verkaufen deshalb ihr letztes Hab und Gut und verschulden sich - um zu überleben.

Der tägliche Überlebenskampf
Auch Talata Sourghakoy hat schon lange keine eigenen Lebensmittelbestände mehr. Die Frau lebt in einem Dorf rund 120 Kilometer von der Hauptstadt Niamey entfernt. Jeden Tag versucht sie aufs Neue, irgendwie über die Runden zu kommen. Um zumindest ein bisschen Geld zu verdienen, verkauft sie am Straßenrand getrocknete Zwiebeln. Doch was bringen schon ein paar Zwiebeln, wenn gleich 15 Familienmitglieder satt werden müssen? Auch die Lebensmittelzuschüsse internationaler Organisationen reichen hinten und vorne nicht. «Jeder in meiner Familie bekommt nur noch eine halbe Portion. Die andere Hälfte muss für den nächsten Tag reichen», berichtet sie.

Das wenige, was es zu kaufen gibt, ist für die allermeisten Familien unerschwinglich geworden. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen WFP berichtet, dass ein Fünf-Kilo-Sack Hirse mittlerweile mehr als umgerechnet 12 Euro kostet - vor nicht mal einem halben Jahr war es noch die Hälfte. Dabei lag das Pro-Kopf-Einkommen im vergangenen Jahr bei umgerechnet knapp 550 Euro.

Kleinkinder am stärksten betroffen
Immer stärker von der Hungersnot betroffen sind Kleinkinder. Achim Reinke geht davon aus, dass 16,7 Prozent aller Mädchen und Jungen unter fünf Jahren mittlerweile akut unterernährt sind. Allein in den Caritas-Ernährungszentren, in denen unter anderem Lebensmittel verteilt werden, würden jede Woche 6.000 unterernährte Kinder registriert. Die Kleinkinder gingen extrem geschwächt in die nun anstehende Regenzeit. Damit seien sie besonders anfällig für Malaria sowie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen, fürchtet Reinke.

Die Hilfsorganisationen kämpfen allerdings noch mit etwas ganz anderem: Die Hungerskatastrophe ist kaum ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt. «Bislang hat es keine privaten Spenden in nennenswerter Zahl gegeben. In Deutschland ist relativ unbekannt, wie gravierend die Lage ist», berichtet Reinke. Darüber hinaus kritisieren viele Organisationen seit Wochen, dass die internationale Gemeinschaft viel zu wenig Geld zur Verfügung stellt, um den notleidenden Menschen tatsächlich helfen zu können. «Es muss mehr finanzielle Mittel geben. Nur so kann eine humanitäre Katastrophe noch vermieden werden», appelliert ein Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation Help, der im Niger arbeitet.

Horrorjahr 2005
Obwohl die Situation prekär ist, unterscheidet sie sich aus Reinkes Sicht doch von jener des Jahres 2005. Damals waren nach Informationen der Vereinten Nationen drei Millionen Menschen akut von der Katastrophe bedroht; Tausende Kinder starben. Reinke hofft, dass die Auswirkungen des Hungers weniger schlimm sein werden als vor fünf Jahren. Insgesamt sei man besser vorbereitet: «Als der Regen 2009 ausblieb, musste man damit rechnen.»