Merkel wirft Bundesbank-Vorstand Diffamierung vor - Zentralrat der Juden empfiehlt NPD-Beitritt

Sarrazin in Bedrängnis

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin gerät wegen neuer migrantenkritischer Äußerungen von allen Seiten unter Druck. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf dem früheren Berliner SPD-Finanzsenator in einer ungewöhnlich scharfen Rüge "Diffamierung" vor. Der Zentralrat der Juden in Deutschland empfahl Sarrazin den Eintritt in die rechtsextreme NPD. Die Grünen forderten seine Abberufung aus dem Bundesbank-Vorstand.

 (DR)

«Das sind Äußerungen, die für viele Menschen in diesem Land nur verletzend sein können», ließ Merkel am Mittwoch über ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten. Sarrazin diffamiere und spitze «sehr, sehr polemisch» zu.

Auf die Frage, ob die Bundesregierung um das Ansehen der Bundesbank fürchte, sagte Seibert, die Bundesbank sei über Deutschlands Grenzen hinaus anerkannt und unabhängig. Dennoch ließen Sarrazins Äußerungen «die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin nicht ganz kalt». Sarrazins Äußerungen seien vor allem «überhaupt nicht hilfreich» bei der «großen nationalen Aufgabe», mit der Integration voranzukommen. »Da müsste ein ganz anderer Ton angeschlagen werden«, betonte der Regierungssprecher.

Sarrazin wirft Migranten in seinem neuen Buch «Deutschland schafft sich ab» vor, sich nicht in die Gesellschaft integrieren zu wollen und mehr Kosten zu verursachen, als Nutzen zu bringen. Ferner sorgt sich Sarrazin «um Deutschland als Land der Deutschen», beklagt «qualitative Veränderungen» in der Zusammensetzung der Bevölkerung und appelliert an einen «gesunden Selbstbehauptungswillen als Nation».

Der Zentralrat der Juden bezichtigte Sarrazin nun, «rassistische Hasstiraden» und «Rassentheorien» zu verbreiten. «Ich würde Herrn Sarrazin den Eintritt in die NPD empfehlen, das macht die Gefechtslage wenigstens klarer und befreit die SPD», sagte der Generalsekretär Stephan Kramer.

Zuvor hatte sich auch die SPD distanziert. Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hatte Sarrazin einen freiwilligen Parteiaustritt nahegelegt. Auf die Frage, warum Sarrazin noch SPD-Mitglied sei, sagte Gabriel am Dienstagabend in Worms: «Das weiß ich auch nicht.» Sarrazins Äußerungen seien zum Teil «dämlich» und dessen Sprache mitunter «gewalttätig».

Gabriel kündigte eine Prüfung an, ob Sarrazin mit seinen Äußerungen bestimmten Bevölkerungsgruppen pauschal bestimmte Charaktereigenschaften zuweise. Dies wäre dann eindeutig «rassistisch».

Der Integrationsexperte der Berliner SPD, Raed Saleh, warf Sarrazin Rassismus und «Sozialdarwinismus» vor. Sarrazin, der weiter im Berliner Landesverband der SPD Mitglied ist, vertrete «im Grunde Gedanken der NPD und von 'Pro Deutschland'». Ein von Berliner SPD-Mitgliedern angestrebter Parteiausschluss Sarrazins wegen früherer umstrittener Äußerungen war im Frühjahr gescheitert.

Sarrazin hatte bereits im Februar Empörung ausgelöst, als er den türkischstämmigen Berlinern vorhielt, sie hätten lediglich «eine produktive Funktion für den Obst- und Gemüsehandel» und produzierten ständig «neue, kleine Kopftuchmädchen». Auch vertritt Sarrazin die These, es gebe es «eine unterschiedliche Vermehrung von Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Intelligenz». Intelligenz werde zu fast 80 Prozent vererbt.

Grünen-Chefin Claudia Roth forderte die Bundesbank auf, Sarrazin wegen dessen «Hetzparolen» umgehend aus dem Vorstand abzuberufen. «Kein öffentliches Amt in Deutschland verträgt eine solche Geisteshaltung und sollte durch eine Person besetzt werden, die anscheinend voller Menschenverachtung ist.»

Der Ko-Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, nannte die Aussagen des 65-Jährigen einen «ideologischen Rückzugsappell zum Blut- und Boden-Dogma». Das Berliner Haus der Kulturen der Welt erwägt unterdessen die Absage einer für den 25. September geplanten Veranstaltung mit Sarrazin.

Rückendeckung erhielt der streitbare Politiker dagegen aus der FDP. «Sarrazin spricht die Integrationsprobleme in Deutschland zwar überspitzt an, das muss aber nicht falsch sein, um eine Diskussion über den richtigen Weg zu führen», sagte der Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Frank Schäffler.