Auch der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, zeiget am Montag deutliche Vorbehalte gegen Gesetzesänderungen wie die Einführung der sogenannten Widerspruchslösung. Jeder Mensch habe das Recht, sich mit seinem Lebensende nicht zu befassen, sagte der Ärztefunktionär dem Berliner "Tagesspiegel". Schon die Debatte über eine Gesetzesverschärfung verstärke das Misstrauen der Bürger gegen die Transplantationsmedizin.
Derzeit gilt in Deutschland eine "erweiterte Zustimmungslösung". Dabei dürfen Organe nur entnommen werden, wenn der Betroffene vorab ausdrücklich zugestimmt hat oder die Angehörigen Ja zu einer Entnahme sagen. Unionspolitiker hatten sich am Wochenende für die Einführung der Widerspruchslösung ausgesprochen. Dabei gilt jeder Bürger als potenzieller Spender, der nicht ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen hat. Im Mai hatte sich auch der Deutsche Ärztetag für eine solche Widerspruchslösung ausgesprochen.
Leutheusser-Schnarrenberger für Widerspruchsregelung
Der Obmann der Unionsfraktion im Gesundheitsausschuss, Rolf Koschorrek (CDU), hatte am Wochenende erklärt, die Widerspruchsregelung sei "eine Möglichkeit, die Versorgung mit Spenderorganen hierzulande entscheidend zu verbessern". Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), sagte: "In Anbetracht des Mangels an Spenderorganen muss über alle Möglichkeiten offen diskutiert werden, die zu einer Verbesserung der Situation führen."
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jens Spahn (CDU), bezeichnete die Forderung Koschorreks am Montag als zu weitgehend. Allerdings forderte der CDU-Politiker, "dass man jeden Erwachsenen mindestens einmal im Leben mit dem Thema konfrontieren muss". Ein guter Zeitpunkt dafür wäre der Führerscheinerwerb, bei dem man ein Formular für einen Spendenausweis erhalten solle.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) plädierte in der "Welt" dafür, offen über die Widerspruchsregelung zu diskutieren. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, sprach sich für eine fraktionsübergreifende Initiative zur Reform des Transplantationsgesetzes aus. Angesichts des eklatanten Organmangels müsse die Organspende zur Regel gemacht werden; sie sei nur bei ausdrücklichem Widerspruch zu unterlassen. "Ich halte das ethisch für geboten", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Auch Moraltheologe Reiter hat Bedenken
"Starke ethische Bedenken" gegen eine Widerspruchslösung erhob der katholische Moraltheologe Johannes Reiter. Organspende müsse "aus absoluter Freiheit heraus geschehen", sagte er in Mainz. Die Widerspruchslösung würde die Persönlichkeits-, Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte des betroffenen Menschen verletzen, aber auch das Pietätsempfinden und das Totensorgerecht der Hinterbliebenen. "Bislang fallen der menschliche Körper und seine Organe nicht unter die Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit, sondern unterliegen ausschließlich der Verfügung der individuellen Person", so der Theologe.
2009 spendeten bundesweit 1.217 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im unteren Mittelfeld. Die Zahl der Transplantationen bundesweit betrug 4.050. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) warten derzeit rund 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Schätzungsweise 1.000 Patienten sterben Jahr für Jahr, während sie noch auf eine Transplantation hoffen.
Organspende: Moraltheologe Schockenhoff gegen Widerspruchslösung
„Das vergrößert nur Ängste“
In Parteien und Verbänden geht die Diskussion über eine mögliche Änderung des Transplantationsgesetzes weiter. Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff spricht sich im Interview mit domradio.de gegen eine Widerspruchslösung aus.
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