Eines der größten Glockenspiele Europas erklingt von Neuem

Treue und Redlichkeit 2.0

Das Schweigen dauerte ein Vierteljahrhundert. Doch am Samstag war damit Schluss. Vom Turm der Josefskirche in Bonn-Beuel ertönt wieder eines der größten und qualitativ hochwertigsten Glockenspiele Europas.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Josefskirche in Bonn-Beuel  / © Alexander Brüggemann (DR)
Josefskirche in Bonn-Beuel / © Alexander Brüggemann ( DR )

Mehr als 1.000 Besucher kamen, darunter Regionalbischof Heiner Koch, der Europäische Schifferseelsorger Bernhard van Welzenes und Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. Zum großen Festprogramm erklang - nach jahrelangem Sparen und monatelanger Restaurierung - das runderneuerte Carillon zum ersten Mal.



Die Geschichte des Glockenspiels ist ein kurzes, aber heftiges Auf und Ab: Als seine 55 Spielglocken 1962 neben den 7 Läuteglocken von St. Josef installiert wurden, ging für Nachkriegspfarrer Adam Bodewig ein Traum in Erfüllung. Den wechselnden Bundesregierungen auf der anderen Seite des Rheins konnte er sein "Üb immer treu und Redlichkeit" um die Ohren bimmeln.



Allerdings war schon in den 70er Jahren fast überall in Deutschland die hohe Zeit der Glockenspiele vorbei. Auch das Beueler Carillon wurde mehr und mehr vernachlässigt. Fortan waren es vor allem Bonner Gaststudenten aus dem Ausland, die noch Interesse für das wertvolle Instrument zeigten. Der US-Amerikaner James Gilles Saenger, später bestallter Stadtcarillonneur in Aschaffenburg und an der National Cathedral in Washington, legte im Oktober 1976 ein Gästebuch an.



1983 gibt es fast keine Hoffnung mehr

Die mitfühlendsten Einträge darin stammen von Alan Durfee, später Professor für Mathematik und Computertechnik am Mount Holyoke College in South Hadley. Als junger Mitarbeiter am Max-Planck-Institut verbrachte er 1983 mehrere Monate in Beuel. Im Mai 1983 schrieb er auf Englisch nieder: "Eine Glocke ist lose und dreht sich. Das "A" im Pedal ist nach einer jüngsten Operation falsch angehängt. Argh!"



Im September 1983 heißt es: "Das Carillon geht so schwer, fast möchte ich es drangeben. Es scheint keine Hoffnung mehr zu geben." Für den 12. November notiert Durfee frustriert: "Fast ein Jahr habe ich nun hier gespielt, und das Glockenspiel fällt unter meinen Händen in Stücke." Und schließlich auf Deutsch: "Es ist hier meine letzte Woche in Bonn. Das Karillon muss repariert worden!"



Doch bis dahin sollte es noch ein volles Vierteljahrhundert dauern. Im Sommer 2007 verkündete der Schifferverein sein Großprojekt: 2012, zum 150. Jubiläum des ältesten Traditionsvereins des Ortes (und zum 50. Geburtstag des Glockenspiels) sollte das Instrument durch Spenden wieder intakt sein. Schon bald war eine so große Summe beisammen, dass die weltweit führende Spezialfirma Koninklijke Eijsbouts aus dem niederländischen Asten beauftragt werden konnte. Die meisten der 55 Spielglocken wurden aus dem Turm ausgebaut und mit Kran und LKW abtransportiert.



Das Carillon kann auf drei Arten gespielt werden

Einmalig: Das Carillon kann auf drei Arten gespielt werden. Faustisch, sprich mit der geballten Faust auf dem sogenannten Stockenklavier, händisch auf einer Tastatur oder über Lochkarten, per Computer gesteuert. Etwa 50 der Lieder, die die Frankfurter Orgelbaufirma Voigt in den 60er Jahren auf Lochkarten stanzte, lagen noch intakt im Keller zum Spielen bereit - ein besonders wertvoller Schatz, wie Fachleute versichern. Für den Festabend ist aber eigens ein Carilloneur aus Fleisch und Blut bestellt, der live "Ein Haus voll Glorie schauet", "Üb immer treu und Redlichkeit" und - als Reminiszenz an die Beethovenstadt - "Freude schöner Götterfunken" intonieren soll.



Der Schifferverein träumt davon, bis Karneval mindestens zwei weitere Brauchtumsstücke des einstigen Wäscherdorfes auf Lochkarten zu bringen: "In Beuel fladdere de Botze" (flattern die Hosen) und das Lied von der Beueler Wäscherprinzessin. Die Firma Voigt besteht nicht mehr - doch gibt es Kontakt zu einem Notenzeichner aus England, der vielleicht helfen kann. Mit ein bisschen Glück wird also auch dieser Traum wahr - wie der des einstigen US-Studenten Jim Saenger, der am 23. März 1979 trotzig niederschrieb: "I was here again! Das Carillon wird doch eines Tages gespielt werden. Alaaf."