Die Fernsehbilder Ende Juni waren spektakulär: Schwere Polizeilastwagen vor dem Erzbischöflichen Palais in Mechelen, kräftige Polizisten, die kistenweise Kartons mit Akten und Computer aus den Fenstern hievten. Ein paar Schritte weiter, in der Sint-Rombouts-Kathedrale, bohrten Justizbedienstete in der Krypta Gräber auf. Im Erzbischöflichen Palais wurden die dort routinemäßig tagenden belgischen Bischöfe über Stunden festgehalten, ihre Handys konfisziert. Der Verdacht: die belgische Kirche halte Informationen zu Missbrauchsfällen zurück.
Auch die Privatwohnung von Kardinal Godfried Danneels, bis Januar Erzbischof von Mechelen-Brüssel, wurde durchsucht. Bei der unabhängigen Missbrauchs-Untersuchungskommission beschlagnahmten die Ermittler sämtliche Opferakten - die Kommission trat deshalb unter Protest zurück. Vatikan und Bischofskonferenz nannten das Vorgehen "unüblich". Belgische Medien zogen Vergleiche zu Dan Browns "Da Vinci Code".
Belgiens Bischöfe zufrieden
Jetzt eine neue Wendung: Am Donnerstag entschieden nach Angaben von Danneels" Anwalt Fernand Keuleneer die zuständigen Stellen, die Beschlagnahmungen im Erzbischöflichen Palais und bei Danneels seien unrechtmäßig gewesen. Die 140 Regalmeter Unterlagen müssten zurückgegeben werden; die bei der "Operation Kelch" erhaltenen Informationen dürften nicht verwendet werden. Ermittlungsrichter Wim De Troy sei zwar der Fall nicht entzogen worden. Nur habe er damit praktisch kein Material mehr für seine Untersuchung, werteten belgische Medien die Entscheidung. Schon im August waren die Beschlagnahmungen bei der Untersuchungskommission für unrechtmäßig erklärt worden.
Die belgischen Bischöfe reagierten zufrieden. Von Anfang an hätten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungen bestanden, sagte ihr Sprecher Jürgen Mettepenningen. Allerdings sei die Kirche daran interessiert, dass die Wahrheit ans Licht komme. Dass die Untersuchung weitergehe, sei deshalb in Ordnung - nur eben mit rechtsstaatlichen Methoden.
Geplante Rufschädigung?
Ans die Öffentlichkeit gekommen waren unmittelbar nach den Durchsuchungen offenbar aus Justizkreisen stammende Informationen, die ganz eindeutig rufschädigend sein sollten. Auf Danneels" Computer sei das Bild eines unbekleideten Mädchens gefunden worden, meldete eine Zeitung. Eine andere ließ wissen, vertrauliche Akten des Justiz-Dossiers zum Kinderschänder Marc Dutroux seien beim Erzbistum gefunden worden. Für alles gab es Erklärungen - das Kinderfoto etwa war ein Kunstwerk aus dem Internetangebot des öffentlich-rechtlichen Senders VRT. Belgische Medien wie die Zeitung "De Standaard" begriffen das ganze Verfahren denn auch eher als Krieg zwischen Freimaurer- und Kirchenkreisen in der belgischen Justiz.
Unabhängig vom Streit mit und in der Justiz: Zumindest der ehemalige oberste Kirchenmann Belgiens, Kardinal Godfried Danneels (77), ist angeschlagen. Ihm wird vorgeworfen als Mensch und Seelsorger falsch reagiert zu haben: Vor kurzem veröffentlichten belgische Medien den Wortlaut eines vertraulichen Gesprächs. Dabei traf der Kardinal auf Bischof Roger Vangheluwe (73) von Brügge, dessen Neffen, der von Vangheluwe missbraucht worden war, und weitere Mitglieder der Familie. Einige Danneels-Sätze ließen die Intepretation zu, er wolle die Affäre vertagen, bis Vangheluwe die Altersgrenze für Bischöfe von 75 Jahren erreicht hätte. Vangheluwe trat dann doch zurück und gab den Missbrauch öffentlich zu. Inzwischen räumte der Kardinal ein, bei dem Gespräch Fehler gemacht zu haben.
Danneels hat zudem kein Amt mehr in Belgiens Kirche. Sein Nachfolger, Erzbischof Andre-Joseph Leonard, kündigte bei Vangheluwes Rücktritt an, die Zeit schuldhaften Schweigens in der Kirche sei endgültig vorbei. Am Freitag will der Präsident der zurückgetretenen Missbrauch-Untersuchungskommission, Kinderpsychiater Peter Adriaenssens, seinen Abschlussbericht vorlegen und den Bischöfen Empfehlungen geben. Am Montag will die Bischofskonferenz dann eine Nachfolge-Initiative für die Adriaenssens-Kommission vorstellen. Das sind Gelegenheiten, um zu zeigen, wie ernst es Belgiens Kirche mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen ist.
Belgiens Justiz wertet Durchsuchungen als unrechtmäßig
Akten zurück an die Kirche
Die spektakulären Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen in kirchlichen Einrichtungen von Ende Juni in Belgien sind von der Justiz als unrechtmäßig eingestuft worden. Die Ende Juni beschlagnahmten rund 140 Regalmeter Dokumente müssen deshalb zurückgegeben werden. Eine erneute Wendung in Belgiens Missbrauchs-Affäre.
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