Wirtschaftswachstum und gute Regierungsführung seien in Entwicklungsländern die Voraussetzung, um Fortschritte zu erzielen, betonte der 47-Jährige. Ein Aufgeben der bis 2015 gesetzten internationalen Millenniumsziele dürfe es trotz teilweise geringer Erfolge nicht geben, so Niebel in einem Interview.
epd: Herr Minister, vom 20. bis 22. September wird auf einem Gipfel der Vereinten Nationen eine Zwischenbilanz zu den Millenniumszielen zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten gezogen. Mit welchen Gefühlen fliegen Sie nach New York?
Niebel: Wenn man die Millenniumsziele global betrachtet, liegen wir nicht wirklich bei allen gut im Plan. Während wir im Bereich der Grundbildung auf sehr gutem Wege sind, hat der Hunger in der Welt zugenommen, die Gesundheit von Kindern und Müttern ist nicht deutlich verbessert. In einigen Ländern und Bereichen gibt es aber sehr gute Fortschritte. Ich setze mich dafür ein, dass die Staatengemeinschaft beim Millenniumsgipfel bekräftigt, die Ziele bis 2015 gemeinsam erreichen zu wollen. Ein Aufgeben der Ziele, ein Zurückweichen, darf es nicht geben. Die Armut ist zwar weltweit zurückgegangen. Aber durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sind viele Erfolge wieder gefährdet. Wir sollten überlegen, wie die Erfolgsbeispiele vieler Länder auf andere Länder und Bereiche übertragen werden können.
epd: Wenn eine ganze Reihe Millenniumsziele verfehlt wird, etwa die Halbierung des Hungers, wie sollte dann das Abschlussdokument des Gipfels aussehen: Wir schreiben die Ziele weiter bis 2030?
Niebel: Nein, so schnell werden wir nicht aufgeben. Stattdessen müssen wir festlegen, was wir bis 2015 unternehmen wollen um sie zu erreichen - ich bin sicher, dass diese Möglichkeit nach wie vor besteht. Aber es muss auch eine Perspektive geben für das, was an Aufgaben neu dazukam, für die Zeit nach 2015: Als die Staatschefs im Jahr 2000 zusammenkamen und die Millenniumserklärung formulierten, haben sie die Klimaveränderungen in der heute bekannten Dimension noch nicht wahrgenommen. Neu hinzu kam auch die Krise auf dem Finanzmarkt.
epd: Wer ist gefordert?
Niebel: Industrieländer und Entwicklungsländer müssen ihre Hausaufgaben machen. Die Industrienationen können noch so viel Geld geben - die Verringerung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Müttergesundheit oder auch die Überwindung des Hungers können nicht erreicht werden, wenn die Entwicklungsländer nicht dafür den Rahmen durch gute Regierungsführung bieten. Dieses beiderseitige Geben und Nehmen muss auf dem Gipfel deutlich werden. Die Entwicklungsländer müssen mit breiter Beteiligung aller, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft, eigene Pläne zur Erreichung der Ziele bis 2015 erstellen, bei deren Umsetzung die Industrieländer helfen können.
epd: Geht das in die Richtung, die Entwicklungsländer stärker in die Pflicht zu nehmen?
Niebel: Nein, das ist keine Erhöhung oder Herabsetzung einer Seite. Es geht nur zusammen. Im Abschlussdokument müssen sich zwei Punkte finden: Erstens ein inklusives Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern, das Arbeitsplätze und Einkommen schafft, und gute Regierungsführung. Das Wachstum ist zentrale Voraussetzung für die Armutsbekämpfung - eine Querschnittsaufgabe auch für alle anderen Ziele. Damit kann der Staat auch Steuern erheben, um Bildungs- und Gesundheitssysteme zu finanzieren.
epd: Was meinen Sie mit inklusivem Wachstum?
Niebel: Die Wachstumsimpulse müssen in den Entwicklungsländern stattfinden. Und es müssen Rahmenbedingungen und Wertschöpfungsketten aufgebaut werden, damit dieses Wachstum möglichst viele Arbeitsplätze schafft, damit alle etwas davon haben. Ich war gerade in der Mongolei, wo ich auf Wunsch der dortigen Regierung eine Rohstoffinitiative gestartet habe, um die Transparenz bei der Vergabe von Lizenzen und bei Geldflüssen zu erhöhen, etwa beim Abbau von Kohle oder Gold. Aber es sollen auch erste Veredelungsschritte im Land erfolgen, damit das Land nicht ausverkauft wird, sondern ein Teil des Schatzes der eigenen Bevölkerung zu gute kommt. Mit den Gewinnen kann man in andere Wirtschaftszweige investieren, um unabhängiger von Rohstoffpreisen zu werden.
epd: Stichwort Fairness im Handelssystem: Was ist mit den Subventionen, die die EU ihren Bauern für Exporte zahlt?
Niebel: Wir müssen faire Handelsbedingungen erreichen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Agrarexportsubventionen bis 2013 auslaufen. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner und ich haben dazu vor kurzem eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Die Entwicklungsländer verlieren mehr Geld durch unfaire Handelsbedingungen und Handelshemmnisse, als sie insgesamt an Entwicklungshilfe bekommen. Die EU hat vereinbart, die Exportsubventionen einzustellen. Ich wünsche mir auch, dass das weltweit erreicht wird.
epd: Sie werben häufig bei der Wirtschaft, besonders beim Mittelstand für Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit. Schlägt sich das finanziell schon nieder?
Niebel: Wir haben einige neue Private-Public-Partnership-Projekte vereinbart. Am 3. September habe ich in Stuttgart die Veranstaltungsreihe "wirtschaft.entwickelt.global" gestartet, die durch alle 16 Bundesländer führen soll. Damit machen wir Unternehmen auf unsere Angebote aufmerksam, sie bei Investitionen in Entwicklungsländern zu beraten.
epd: Deutschland war bis vor kurzem Exportweltmeister. Brauchen deutsche Unternehmen noch Beratung, um sich Märkte zu erschließen?
Niebel: Es geht mir weniger um die deutsche Wirtschaft, sondern mehr um unsere Partnerländer. Ich bin nicht für Außenwirtschaftsförderung zuständig. Das Beste für unsere Partnerländer ist ein eigenständiges Wirtschaftswachstum, indem dort Produktionsstätten errichtet werden. Die Schaffung von Arbeitsplätzen trägt zur Bekämpfung der Armut bei. Ich werde kein Engagement fördern, das keine Entwicklungsdynamik mit sich bringt. Aber ich bin überall dort zuständig, wo ein Unternehmen für diese Dynamik sorgt, sich sozial engagiert und nicht nur zwei Fußbälle verteilt, sondern seine Verantwortung ernst nimmt.
epd: Herr Niebel, Sie sind fast ein Jahr im Amt, genaugenommen zehn Monate. Wagen Sie schon eine erste Bilanz?
Niebel: Es macht viel Freude, dieses Amt auszuüben. Wenn man es richtig macht, kann man eine Menge gestalten.
epd: Wo sehen Sie die liberale Handschrift in der Entwicklungspolitik?
Niebel: Allein schon in der ersten Strukturreform, die diese Bundesregierung überhaupt auf den Weg bringt: Wir wollen die rechtliche Fusion der staatlichen Entwicklungsorganisationen GTZ, DED und Inwent bis zum 15. November abschließen und dies dann den Gremien vorlegen, damit die "Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" wie geplant am 1. Januar 2011 an den Start gehen kann.
epd: Sie sagen, Sie hätten in zehn Monaten mehr erreicht als andere in zehn Jahren.
Niebel: Das ist richtig. Im Entwicklungsministerium sind wir die ersten, die strukturell Veränderungen voranbringen und damit die Wirksamkeit eingesetzter Steuergelder erhöhen. Darauf hat der Steuerzahler Anspruch. Deutschland ist zu verkrustet, um ohne Strukturreform in die Zukunft zu gehen. An anderen Strukturreformen, etwa im Gesundheitswesen, arbeiten wir noch.
epd: Wie viele Entwicklungsländer haben Sie schon besucht? Was hat Sie dabei besonders bewegt?
Niebel: Seit ich im Amt bin, bin ich 15 Mal gereist - in 24 Länder. Das Bewegendste war die Rückführung von drei gefallenen Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan. Berührt hat mich auch, wie Ruanda mit dem Völkermord von 1994 umgeht. Und im Osten des Kongo ist die humanitäre Situation sehr bedrückend. Auf der anderen Seite habe ich auch sehr viel Positives gesehen. In Ruanda gibt es eine unglaubliche Aufbruchstimmung und Dynamik in der Gesellschaft, trotz der Defizite bei der Pressefreiheit.
Entwicklungsminister Niebel will Millenniumsziele nicht aufgegeben (Wortlaut-Interview)
Entwicklungsländer müssen mithelfen
Im Kampf gegen Hunger und Armut sieht Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) arme und reiche Nationen gefordert. "Die Überwindung des Hungers kann nicht erreicht werden, wenn die Entwicklungsländer nicht dafür den Rahmen durch gute Regierungsführung bieten", sagte der Minister. Industrieländer und Entwicklungsländer müssten gemeinsam ihre Hausaufgaben machen.
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