Rektor des Canisius-Kollegs sieht Fortschritte bei Aufarbeitung des Missbrauchsskandals

"Aufklärung geht voran"

Der Jesuitenpater Klaus Mertes sieht deutliche Fortschritte bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. "Es ist sicher noch nicht alles aufgeklärt, aber viel", sagte der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs der in Essen erscheinenden "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung".

 (DR)

Zudem sei die Präventionsfrage als wichtiges kirchliches Thema akzeptiert. "Die Kirche hat sich - nach einer Schreckstarre, die man angesichts des unglaublichen Ausmaßes des Problems aber auch zugestehen muss - erheblich bewegt", sagte Mertes weiter.



Allerdings wünsche er sich, dass bei der Vorbeugung sexuellen Missbrauchs "noch stärker die ganz grundsätzlichen Themen angesprochen werden", sagte der Jesuitenpater der Zeitung. Dazu zählten "die Sprachlosigkeit der Kirche im Bereich Sexualpädagogik" und die Ausübung von Macht in der katholischen Kirche. Mertes hatte Anfang des Jahres erstmals sexuelle Übergriffe durch Jesuiten öffentlich gemacht und damit die Missbrauchsdebatte ausgelöst, in deren Verlauf auch Opfer aus anderen kirchlichen Einrichtungen an die Öffentlichkeit gingen.



Die vom Jesuitenorden angekündigten pauschalen Zahlungen an die Opfer sollen nach Mertes" Worten in den nächsten Monaten beginnen. Die nicht näher bezifferte vierstellige Summe sei nicht als Entschädigung, sondern als Anerkennung des Leids zu verstehen. "Wem dies nicht reicht, der wird vermutlich eigene Forderungen stellen", sagte der Schulrektor. Wenn es um Entschädigung im eigentlichen Wortsinn gehe, müsse das Leid in irgendeiner Form quantifiziert werden, dabei sei vielleicht auch mit juristischen Auseinandersetzungen zu rechnen.



Am Berliner Canisius-Kolleg meldeten sich nach Angaben des Paters in den vergangenen Monaten rund 90 Missbrauchsopfer. "Es sind eine Menge Altfälle ans Licht gekommen, aber sicher nicht alle." Dabei sei auch deutlich geworden, dass nicht nur der jeweilige Täter den Kindern Gewalt angetan habe, unterstrich Mertes. Oftmals habe auch das familiäre, kirchliche und gesellschaftliche Umfeld nicht angemessen reagiert, als die Opfer zu sprechen versucht hätten. "Zum Beispiel, wenn ein Kind über einen Missbrauch sprechen will und die Eltern sagen: "So spricht man nicht über einen Priester.""



Unverständnis äußerte der Jesuit darüber, dass er wegen seines Gangs an die Öffentlichkeit von manchen Spitzenvertretern der katholischen Kirche als Nestbeschmutzer betrachtet werde. "Jeder Kirchenobere, der das ernsthaft behauptet, befindet sich noch immer in der Logik des Schweigens und damit in der Mitverantwortung für Missbrauch", sagte Mertes.