Holocaust-Gedenken im Bundestag

"Schrecken der Geschichte nicht vergessen"

Der Bundestag hat der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Im Mittelpunkt standen dabei diesmal die von den Nazis ermordeten 500.000 Sinti und Roma. Mit dem niederländischen Sinto Zoni Weisz hielt erstmals ein Vertreter dieser Gruppe die Gedenkrede im Reichstagsgebäude. Der 73-jährige Holocaust-Überlebende warnte eindringlich vor einer Wiederholung der Geschichte: "Es gibt in osteuropäischen Gaststätten wieder Schilder mit der Aufschrift: Für Zigeuner verboten!"

 (DR)

Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte zuvor die Verantwortung Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus betont. "Wir Nachgeborene haben versprochen und bekräftigen, dass wir die Schrecken der Geschichte nicht vergessen werden, dass wir die Erinnerung an sie bewahren und die Lehren aus ihr auch in Zukunft ziehen werden", sagte der Bundestagspräsident zu Beginn der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag.



Der Hauptredner Zoni Weisz forderte mehr Rechte für seine Volksgruppe. "Es kann und darf nicht sein, dass ein Volk, das durch die Jahrhunderte hindurch diskriminiert und verfolgt worden ist, heute - im 21. Jahrhundert - immer noch ausgeschlossen und jeder ehrlichen Chance auf eine bessere Zukunft beraubt wird", sagte Weisz. Der Völkermord an Sinti und Roma sei heute ein "vergessener Holocaust".



Ein "vergessener Holocaust"

Der 74-Jährige Zoni Weisz überlebte die NS-Zeit als Kind in einem Versteck in den Niederlanden, während Eltern und Geschwister nach Auschwitz deportiert wurden. Laut Schätzungen wurden bis zu 500.000 Sinti und Roma in Konzentrationslagern ermordet. "Nichts oder fast nichts hat die Gesellschaft daraus gelernt, sonst würde sie heute verantwortungsvoller mit uns umgehen", beklagte Weisz und wies darauf hin, dass mit rund zwölf Millionen Menschen die Sinti und Roma heute die wahrscheinlich größte ethnische Minderheit in Europa seien. "Der weitaus größte Teil ist chancenlos, hat keine Arbeit, keine Ausbildung und steht ohne ordentliche medizinische Versorgung da", sagte Weisz. Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung seien an der Tagesordnung.



Seit 1996 wird in Deutschland am 27. Januar an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. An diesem Tag hatten sowjetische Soldaten im Jahr 1945 das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Es war das erste Mal, dass ein Vertreter der Sinti und Roma bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag das Wort hatte. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und der Präsident des Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, nahmen an der Veranstaltung teil.



"Zeichen der Versöhnung" an Roma und Sinti

Lammert erinnerte daran, dass sich noch heute viele Sinti und Roma diskriminiert und stigmatisiert fühlten, "auch in Deutschland". Weil die Deutschen nur wenig über die Kultur und den Alltag von Sinti und Roma wüssten, seien Klischees und Vorurteile weit verbreitet. Studien zeigten, dass sie beim Zugang zu der Bildung und dem Gesundheitssystem benachteiligt würden und zudem weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. "Bis heute ist die größte Minderheit Europas zugleich die wohl auch am meisten diskriminierte Minderheit Europas", sagte Lammert. Den Auftritt Weiszs wertete er als "Zeichen der Versöhnung".



Wulff in Auschwitz

Bundespräsident Christian Wulff hält sich anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages auf dem Gelände des ehemaligen NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau auf. Das Lager wurde vor 66 Jahren von sowjetischen Soldaten befreit. Der Bundespräsident nimmt in der Gedenkstätte zusammen mit dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski an einer Gedenkfeier teil. Zudem wollen die beiden Staatschefs in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte mit deutschen und polnischen Jugendlichen zusammenkommen.

Anschließend spricht Wulff bei der zentralen Gedenkveranstaltung. In Auschwitz-Birkenau wurden von den Nationalsozialisten rund 1,1 Millionen Menschen getötet.