Erzbischof aus Venezuela über Chavez und die Rolle der Kirche

"Die Regierung will Soldaten, nicht Bürger"

Erzbischof Baltazar Porras von Merida verbindet mit Staatspräsident Hugo Chavez eine lange Geschichte von Beleidigung und Verzeihung, Drohungen und lauten Tönen. Im Interview spricht der stellvertretende Vorsitzende der Venezolanischen Bischofskonferenz über die Lage der Opposition und die Rolle der Kirche in dem nach wie vor katholisch geprägten Land.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, die Kirche ist in Ihrem Land quasi die Opposition. Dafür wird sie von der Regierung regelmäßig beschimpft und verfemt.

Porras: Die katholische Kirche war immer kritisch gegenüber allen Regierungen des Landes - das ja eigentlich wegen seiner Erdölvorkommen ein reiches Land sein sollte. Tatsächlich machen wir ja nicht Opposition im ursprünglichen Sinne. Wir werden so gesehen und dargestellt, weil wir auf die gesellschaftlichen und kulturellen Werte, auf die offenkundigen Verstöße gegen die Verfassung des Landes verweisen. Die Regierung hat Probleme, die Menschenrechte, die sozialen Rechte und auch die Verfassung einzuhalten. Die Demokratie wird regelmäßig beschnitten.



KNA: Wirken denn die antikirchlichen Anwürfe von Chavez bei der Bevölkerung, oder wird die Position der Kirche dadurch eher stärker?

Porras: Die katholische Kirche ist seit langem die Institution mit der größten Glaubwürdigkeit. Und das ist natürlich auch ein Problem für die Regierung. Denn die Kirche wird sowohl von den Unternehmern als auch von der Jugend gesucht, etwa den Studenten. Das Drama dieser Tage ist, dass die Regierung inzwischen mit gar niemandem in Dialog tritt: nicht mit dem Volk, nicht mit der Zivilgesellschaft, nicht mit der Kirche. Und außer der Kirche kann keiner diese Form von Opposition einnehmen. Uns ist ein großes Anliegen, Werte wie Transparenz, Wahrhaftigkeit und gegenseitigen Respekt zu vermitteln. Die Bischöfe haben zuletzt ein Dokument veröffentlicht, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.



KNA: Was steht da drin?

Porras: Es mahnt Respekt vor der Verfassung an. Die Regierung hat ihre Mehrheit regelmäßig ausgenutzt, um sich in krasser Form über die eigene Verfassung von 1999 hinwegzusetzen. Letztlich geht es um die Umsetzung eines Sozialismus nach kubanischem Vorbild. Die Ideologie der Regierung ist ein "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", in Wahrheit ein Replikat des Sozialismus der 60er Jahre, der eigentlich als überwunden galt. Man sieht aber, dass sich Chavez mit Gaddafi, mit Weißrussland und dem Iran zusammentut. Mögliche andere Meinungen werden regelmäßig mundtot gemacht. Minister etwa, die aufmucken oder mächtig werden könnten, werden als "Ratte" oder als "Kapitalist" beschimpft und abgesägt.



KNA: Und weitere Themen sind?

Porras: Die Medien. Sie sind in der Hand der Regierung und werden regelmäßig gleichgeschaltet. Reden, Erklärungen, auch Live-Sendungen mit dem Präsidenten werden teilweise zeitgleich auf allen Sendern gebracht und kommen so quasi gezwungenermaßen unters Volk. Oder die Gewalt im Land. Es gibt natürlich keine offiziellen Statistiken. Aber es hat allein im vergangenen Jahr 19.600 Morde gegeben - die höchste Mordrate in ganz Lateinamerika. Die Leute haben Angst, überhaupt vor die Tür zu gehen. Es fehlt an jedem Respekt für die Menschlichkeit. Die Notwendigkeit für einen Dialog darüber ist offenkundig. Auch andere christliche Gemeinschaften und Gruppen haben sich unserem Dokument angeschlossen und gesagt: In diesem Punkt müssen wir zusammenstehen. Die katholische Kirche ist die größte Gruppe und damit eine Art Sprecherin.



KNA: Wie steht es um die von Chavez gegründete Regierungskirche, die "Iglesia Catolica Reformada"? Gibt es die noch, oder verläuft sich das Phänomen?

Porras: Ja, die gibt es noch: Sie lebt weiter von der großen Unterstützung, die sich von der Regierung erfährt. Das sind frühere katholische Priester, anglikanische Geistliche und protestantische und pfingstkirchliche Pastoren. Allerdings gibt es häufig ein Glaubwürdigkeitsproblem der Personen, der moralischen Integrität. Am Anfang hatte sie noch einen vergleichsweise großen Zulauf, ist jedoch derzeit stark in der Defensive. Viele haben sich schlicht persönlich bereichert.



KNA: Nach den Nachrichten, die in Europa ankommen, kann man zuletzt ohnehin den Eindruck gewinnen, dem Präsidenten schwämmen die Felle weg: eine verlorene Volksabstimmung, außenpolitische Niederlagen, wirtschaftliche Probleme.

Porras: Das Problem an der Sache ist: Die Menschen haben ja Chavez gewählt in der Hoffnung, dass es besser wird als unter den konservativen Vorgängerregierungen. Aber es hat nur ganz punktuelle Verbesserungen gegeben, und die hätten verstetigt werden müssen. Wie aber kann man glauben, dass es in einem Land um Werte geht, wenn Parolen ausgegeben werden wie "Vaterland, Sozialismus oder Tod"? Wie kann es sein, dass die Bevölkerung so wenig davon sieht, wenn der Ölpreis so hoch ist wie zurzeit?



KNA: Glauben Sie nicht, dass die politische Krise in den Staaten Nordafrikas - und damit eine mögliche Ölkrise - Chavez neuen finanziellen Auftrieb geben könnte?

Porras: Das mag wohl sein. Wer mehr Geld einnimmt, hat natürlich auch mehr Geld zur Verfügung. Doch die Lektion, die man derzeit aus Libyen oder Tunesien lernen könnte, wäre, dass nichts ewig ist. Was dort passiert, sehen auch die Studenten an unseren Universitäten. Die Meinungen werden stärker und vielfältiger. Und es gibt keine Garantie dafür, dass der Dominoeffekt in Nordafrika nicht auch anderswo geschehen könnte.



KNA: Chavez wollte vor einiger Zeit mit einer Reform des Bildungsgesetzes seine "Bolivarische Revolution" auch in den Schulen verankern. Was ist daraus geworden?

Porras: Im öffentlichen und im Privatschulsektor erleben wir eine Militarisierung der Bildung: eine Indoktrination von der Grundschule bis zum Studium. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Qualität der Ausbildung. Es wird für uns als Kirche immer schwerer, unsere Bildungsstandards weiter anzubieten und angesichts der Wirtschaftskrise auch zu bezahlen. Die Regierung Chavez will Soldaten, nicht Bürger. Andere Länder Lateinamerikas haben zuletzt die 200 Jahre ihrer staatlicher Unabhängigkeit gefeiert - und dabei vor allem auf das geschaut, was seitdem erreicht worden ist. In der Rhetorik in Venezuela ging es bislang nicht um Solidarität oder Geschwisterlichkeit - immer nur um den "Krieg gegen das Imperium".

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Das Gespräch führte Alexander Brüggemann.