Durch die steigende Nachfrage nach Agrosprit komme es in den Entwicklungsländern verstärkt zu einer Verminderung der Anbauflächen für Grundnahrungsmittel, so Misereor. "Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben, damit Großinvestoren im Agrotreibstoffgeschäft hohe Renditen erzielen können", sagte Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon. Durch die erhöhte Nachfrage nach Biomasse verschärfe sich die soziale und menschenrechtlichen Situation in den Entwicklungsländern.
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich dazu verpflichtet, bis 2020 rund zehn Prozent Ethanol in den Kraftstoff zu mischen, das durch Gärung aus Biomasse gewonnen wird. Um Ethanol ausreichend herstellen zu können, muss laut Misereor Biomasse aus Ländern des Südens wie Brasilien, Argentinien, Indonesien oder Malaysia importiert werden.
"Spritgipfel" am Dienstag
E10 enthält entsprechend einer EU-Richtlinie bis zu zehn Prozent Bioethanol aus nachwachsenden Rohstoffen. Zuvor wurden nur fünf Prozent Biosprit ins Benzin gemischt. Weil verunsicherte Autofahrer trotz der höheren Preise lieber Super Plus als E10 tanken, gibt es derzeit ein Überangebot des Biokraftstoffs und Engpässe bei Super Plus. Der Mineralölwirtschaftsverband hatte daher in dieser Woche angekündigt, vorerst keine weiteren Raffinerien auf die Produktion des neuen Treibstoffs umzustellen.
Nach dem Misstrauensvotum der Autofahrer gegen den E10 stellen auch Unionspolitiker und Umweltverbände inzwischen die ganze Umstellung grundsätzlich in Frage gestellt. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) lud alle Beteiligten zu einem Benzin-Gipfel am kommenden Dienstag ein, um eine Lösung zu finden. Während das Umweltministerium E10 weiter bundesweit einführen möchte, sah Brüderles Sprecher diese Frage noch offen.
Gewinner deutsche Agrarindustrie
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner fordert, sofort E10-Verträglichkeitslisten an allen Tankstellen auszulegen. So werde klar, dass der Kraftstoff für die meisten Automodelle geeignet sei. Ein großer Teil des Ethanols wird aus Zuckerrüben, Weizen und Mais gewonnen.
Die deutschen Bauern sind neben der Ethanolindustrie die einzigen echten Gewinner von E10. Bis zu 10 Prozent der Umsätze der Landwirte stammen bereits von nachwachsenden Rohstoffen: Raps für Biodiesel, Mais für Biogas und jetzt eben immer mehr Weizen und Zuckerrüben zur Produktion des Ethanols, das dann als Biokomponente zu 10 Prozent unter das Benzin gemischt wird.
Inzwischen rückt auch immer mehr der vermeintliche Nutzen für die Umwelt des neuen Kraftstoffs ins Zentrum der Diskussion. Bereits im März 2008 habe der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik in einem umfangreichen Gutachten Biodiesel und Bioethanol aus deutscher Produktion für unsinnig erklärt, berichtet SPIEGEL ONLINE am Samstag. Der vermeintliche Öko-Sprit sei im Vergleich zu anderen klimapolitischen Optionen kostspielig und nutzlos. Gemessen auf einen Hektar Anbaufläche werde auf diese Weise einfach zu wenig Kohlendioxid eingespart.
Entwicklungshelfer fordern die Rücknahme des Biokraftstoffs E10
Super nur für deutsche Bauern
Während die Politik darüber streitet, warum E10 bei Deutschlands Autofahrern so schlecht ankommt, fordert das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor einen kompletten Stopp des Biokraftstoffs: Weil in Entwicklungsländern für den Biosprit angebaut werde, würden die Flächen für Grundnahrungsmittel knapp. Die wahren E10-Profiteure kommen aus Deutschland selber.
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