Rheinische Kirche mahnt zum Handeln beim Klimaschutz

Kritik an Ackerbau für Biobenzin

Die Evangelische Kirche im Rheinland mahnt zu entschiedenerem Handeln beim Klimaschutz. Deutschland sollte die EU zu einer wirklichen Vorreiterrolle und ehrgeizigen Zielen drängen, sagt die Vizepräses der zweitgrößten deutschen Landeskirche Petra Bosse-Huber im Interview. Sie kritisiert darin den Anbau von Ackerpflanzen für Biosprit als verantwortungslos, dies verknappe und verteuere Nahrungsmittel in armen Ländern.

 (DR)

epd: Sie haben mit einer Delegation der rheinischen Kirchenleitung und des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) kirchlich unterstützte Projekte in Indien besucht, die dem Klimaschutz dienen sollen. Mit welchen Erkenntnissen?

Bosse-Huber: Indien ist ein Land, in dem High-Tech-Industrie und geradezu archaische Landwirtschaft nebeneinander bestehen. Hier werden Widersprüche in der globalisierten Welt sichtbar zwischen jenen, die über Wasser, Land und vielfältige Lebensmöglichkeiten verfügen, und den Armen, denen dies vorenthalten wird. Mich hat beeindruckt, wie Projekte des EED mit langem Atem in indischen Dörfern die Lebensqualität der Menschen entscheidend verbessert haben und zugleich zum Klimaschutz beitragen - etwa durch die Installation von Biogasanlagen und Aufforstungsprogramme. Bewährt haben sich dabei langjährige Entwicklungspartnerschaften.



epd: Was kann Deutschland in Sachen Klimaschutz von Indien lernen?

Bosse-Huber: Indien steht vor der Aufgabe, sich wirtschaftlich zu entwickeln, ohne den Ausstoß von Treibhausgasen massiv in die Höhe zu treiben. Dabei wird auch versucht, die Fehler zu vermeiden, die wir in Europa bei der Industrialisierung gemacht haben. Es gibt in Indien an vielen Stellen ein höheres ökologisches Bewusstsein, als ich erwartet hätte. So haben einige Bundesstaaten Plastiktüten verboten - ich würde mir wünschen, dass wir so etwas auch in Deutschland hinbekommen.



epd: Entwicklungshilfe für Schwellenländer wie Indien wird immer wieder in Frage gestellt. Ist sie nötig?

Bosse-Huber: Natürlich hätte Indien selbst genügend finanzielles Potenzial und Know-how, um ausreichende Entwicklungschancen für die eigene Bevölkerung zu schaffen. Derzeit werden aber - ebenso wie in anderen Schwellenländern - die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Auch wenn hier in erster Linie die Verantwortlichen in Indien selbst gefragt sind, können wir nicht tatenlos zuschauen, wenn uns die Menschen dort am Herzen liegen. Hinzu kommt, dass wir Mitverursacher der Lebensbedingungen sind, unter denen die Ärmsten der Armen in Indien existieren.



epd: Wie sieht optimale Hilfe für Entwicklungs- und Schwellenländer aus - auch mit Blick auf den Klimaschutz?

Bosse-Huber: Generell gilt der Grundsatz, dass Menschen nur geholfen werden kann, wenn sie sich selbst helfen. Das bedeutet: Der Transfer von Geld und Know-how muss partnerschaftlich erfolgen, Experten und Betroffene vor Ort müssen intensiv beteiligt werden. Nur so kann es gelingen, beispielsweise eine nachhaltige, dezentrale Energieversorgung aufzubauen - zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht alles auf die Karte Großtechnologien gesetzt wurde, die häufig ein hohes zerstörerisches Potenzial mit sich bringen.



epd: Was muss Indien selbst tun?

Bosse-Huber: Unsere indischen Partner und Partnerinnen nennen als große Probleme immer wieder Bürokratie und Korruption, an denen so mancher gute Ansatz scheitert. Hier muss das Wohl der Menschen wieder an erster Stelle stehen. Vielfach existieren zum Beispiel Landrechte der Bevölkerung nur auf dem Papier und sind vor den Behörden nur schwer durchzusetzen. Unsere indischen Projektpartner müssen immer wieder Betroffenen helfen, ihre Rechte auch durchzusetzen und notfalls einzuklagen.



epd: Inwieweit können klimafreundliche Technologien helfen?

Bosse-Huber: Sie sind wichtig, müssen aber mit einem Bewusstseinswandel einhergehen. Wir können nicht Bäuerinnen in Indien mit energiearmen Öfen zu emissionsarmem Kochen verhelfen und zugleich in Deutschland in Industrie und Privathaushalten immer mehr Energie verschleudern. Der Ausstoß von Treibhausgasen lässt sich nur verringern, wenn wir im reichen Norden ebenso wie im armen Süden der Erde energiebewusst haushalten.



Der Klimaveränderung können wir nur gemeinsam Einhalt gebieten. Die Förderung von Projekten in Entwicklungsländern zur Kompensation des eigenen CO2-Ausstoßes darf von Industriekonzernen und Verbrauchern im Norden der Welt daher auch nicht verstanden werden als Möglichkeit, sich von der eigenen Verantwortung freizukaufen.



epd: Sollte es auch für Entwicklungs- und Schwellenländer feste Ziele für die Verringerung des CO2-Ausstoßes geben?

Bosse-Huber: Auch diese Staaten haben das Recht, sich wirtschaftlich zu entwickeln, und können nicht dazu verpflichtet werden, die Zeche für Umweltsünden zu zahlen, die wir zu verantworten haben. Andererseits dürfen auch nicht die Umweltfehler der Industriestaaten in den Schwellenländern wiederholt werden. Ich hoffe daher auf verbindliche Absprachen, die für uns selbst und für die Weltgemeinschaft gelten. Das geht aber nur über die Einsicht der wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen etwa in Indien, Brasilien und China. In begrenztem Maße kann auch Druck der EU helfen.



epd: Tut die EU selbst genug, um den Klimawandel zu stoppen?

Bosse-Huber: Sie geht zumindest erste Schritte in die richtige Richtung. Bedenklich finde ich aber, wie in der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise die klimapolitischen Ziele hintan gestellt wurden und es fast nur noch um Fragen des gefährdeten Wirtschaftswachstums ging. Die EU könnte als kleiner Wirtschaftsriese deutlich mehr unternehmen und eine wirkliche Vorreiterrolle einnehmen - zum Beispiel, indem sie ihr Ziel für die CO2-Reduzierung bis zum Jahr 2020 von 20 auf 30 Prozent erhöht.



epd: Wäre notfalls ein deutscher Alleingang bei der Treibhausgas-Reduktion sinnvoll?

Bosse-Huber: Alleingang wäre der falsche Ansatz - der europäische Wirtschaftsraum kann sich nur gemeinsam bewegen. Deutschland kann aber als die Wirtschaftsmacht in Europa entschiedener für ehrgeizige Klimaziele eintreten und die EU-Partner stärker zu einem solchen klimabewussten Vorgehen drängen. In dieser Debatte ist es in letzter Zeit eigentümlich ruhig geworden.



epd: Was kann die Evangelische Kirche im Rheinland beitragen - und welche Anstöße geben dazu die Erfahrungen in Indien?

Bosse-Huber: Mir ist klar geworden, dass wir mit noch größerem Ernst die Frage nach dem kirchlichen Beitrag zum Klimaschutz stellen müssen. Die rheinische Kirche hat dieses Thema zwar seit Jahren im Blick - etwa in Bezug auf fairen Handel oder ökologisches Bauen - und ist der Klimaplattform beigetreten. Wir müssen den Klimaschutz aber noch stärker als Querschnittsfrage verstehen, die bei allen Entscheidungen konsequent im Blick sein muss. Das Bewusstsein dafür in der Kirchenleitung ist durch den Besuch von Menschen, die konkret von den Folgen der Erderwärmung betroffen sind, jedenfalls immens verstärkt worden.



epd: In Deutschland wird derzeit über Ethanol im Benzin gestritten. Wie stehen Sie zum Anbau von Ackerprodukten für Biosprit?

Bosse-Huber: Angesichts des Anstiegs der Getreidepreise auf dem Weltmarkt durch den Anbau für Bioenergie halte ich es für verantwortungslos, diesen Weg weiter zu beschreiten. Hier wird erneut versucht, ein ökologisches Problem auf dem Rücken der armen Länder zu lösen. Die Produktion von Bioenergie wird in unserer Kirche seit Jahren kontrovers diskutiert und dabei zunehmend kritischer beurteilt. Man kann nicht Benzin für die Welt gegen Brot für die Welt aufwiegen - hier muss das kirchliche Votum klar zu Gunsten der Nahrungsmittelproduktion ausfallen.



Interview: Ingo Lehnick