domradio.de: Herr Glück, wie geht es Ihnen, wenn sie sich die Bilder des Grauens aus Japan ansehen?
Glück: Ich würde am liebsten manchmal wegschauen! Aber das wäre Verdrängung. Es macht ratlos, es ist einfach bedrückend, an die Menschen dort zu denken, die irgendwo im Schlamm stecken als Folge des Tsunamis, oder an diejenigen, die jetzt in den Anlagen versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Und erst diejenigen, die jetzt mit der Angst leben im Hinblick auf Strahlenschäden, das sind ja Millionen! Es ist eigentlich unvorstellbar.
domradio.de: Sie sind der Überzeugung, dass die Katastrophen in Japan auch zeigen, dass unsere heutige Art zu leben nicht länger zukunftsfähig ist. Was muss sich ändern?
Glück: Es zeigt uns grundsätzlich die Grenzen des Planbaren und der menschlichen Sicherheiten auf, die wir glauben, machen zu können. Inwieweit da jetzt menschliches Versagen eine Rolle spielt, ist eine andere Frage. Aber man sieht, das trotz aller Sicherheitsvorkehrungen mit menschlichen Fehlern immer wieder gerechnet werden muss. Jetzt haben wir diese Katastrophe und diesen Schock. Es geht aber nicht nur um den Energiebereich, in der Summe ist es so: Wir haben eine ganze Reihe von Krisenszenarien, die zeigen, dass unsere bisherige Art zu leben so nicht fortgeführt werden kann: das ist die Finanzkrise, die Klimaproblematik und ähnliche Dinge mehr. Wir haben die Probleme immer wieder verdrängt. Es kann gut sein, dass die jetzige weltweite Schockerfahrung durch diese Vorgänge im Hochtechnologieland Japan ein Stück Zäsur sein kann für das bisherige Verständnis. Und vielleicht auch für viel Gedankenlosigkeit unserer Zivilisation und dass nun unausweichlich wird, sich damit auseinanderzusetzen. Allerdings ist es auch ganz wichtig: sich wirklich inhaltlich damit auseinanderzusetzen und nicht von einem Extrem ins andere zu pendeln, gewissermaßen von naiver unkritischer Fortschrittsgläubigkeit in eine Verweigerungshaltung. Damit können wir natürlich die Aufgaben nicht lösen.
domradio.de: In Deutschland hat jetzt die Debatte über die Laufzeit von Kernkraftwerken erneut begonnen. Gestern sind Hunderttausende gegen die Atomkraft auf die Straße gegangen. Sie haben sich immer wieder gegen die Verlängerung der Laufzeiten ausgesprochen. Was heißt das jetzt konkret für den Bereich der Energiepolitik?
Glück: Es heißt, dass das Umsteuern beschleunigt erfolgen muss! Die Bundeskanzlerin hat ja schnell reagiert, unmittelbar am Sonntag. Und heute kam praktisch schon die Entscheidung, ältere Anlagen jetzt erst einmal vom Netz zu nehmen und dann auf dem Hintergrund ganz neuer Erfahrungen in Japan alles noch einmal durchzubuchstabieren. Aber Ich glaube es ist schon jetzt klar, dass wir eine große Anstrengung unternehmen müssen, um so zügig wie möglich umzustrukturieren in risikolose Reformen. Wobei es jetzt im Hinblick auf die unmittelbare Gefahr auf den ersten Blick natürlich risikoloser wäre, mehr Einsatz der Kohle zu fordern. Aber mit Blick auf das Klima kann das nicht die Lösung sein. Energie und Energieversorgung ist aber ein Schlüsselthema für die moderne Zivilisation, und von daher wird es wohl höherer Kosten bedürfen aber auch nötig sein, eine ehrliche Debatte zu führen. Denn dafür, wofür wir weit überwiegend sind, wenn wir mehr regenerative, dezentrale Anlagen etc. wollen, brauchen wir eine ganz andere Form von Leitungsnetzen. Bislang ist es natürlich so, dass ganz allgemein fast alle für Windkraft auf hoher See sind, aber wenn es dann um die Verteilung und die Leitungen im Land geht, gibt es nur Widerstand. Jetzt müssen wir Obacht geben, dass wir uns nicht in eine Selbstblockade hineinbegeben, sondern dann auch in der Konsequenz abwägen und z.B. sagen "Gut, Windräder in der Landschaft sind nicht schön, und die habe ich eigentlich nicht gerne, aber es ist alles in allem sehr viel ungefährlicher als andere Varianten." Es es ist am Schluss eine Güterabwägung, und da habe ich ein bisschen Sorge, dass wir uns emotional blockieren.
domradio.de: Müsste Frau Merkel die Laufzeitverlängerung jetzt nicht endgültig kippen?
Glück: Ich glaube, dass das jetzt auch nicht ganz seriös wäre, nur weil es politisch opportun wäre, aus dem Stand heraus diese oder jene Entscheidung zu treffen. Das Ganze ist ja schon mit Konsequenzen verbunden im Hinblick auf Arbeitsplätze, auf wirtschaftliche Entwicklung und auf sichere Energieversorgung. Aber die Zäsur und der Schock und das Umdenken sind so stark, dass das nicht jemand in drei Monaten ohne besondere Gründe zurückholen kann oder auch in sechs Monaten. Da braucht, glaube ich, niemand Sorge zu haben. Aber es ist schon seriös, jetzt jeden Einzelfall zu prüfen, denn die Politik wird es danach einmal vertreten müssen, wenn z.B. durch höhere Energiepreise die Wirtschaft langsamer läuft und der Arbeitsmarkt schwieriger wird. Das wird ja möglicherweise Teil der Konsequenzen sein, zumindest für schwierige Umstellungsphasen. Und dann muss es auch die Politik wieder begründen. Viele, die jetzt vielleicht emotionaler reagieren, würden dann auch wieder gerne emotionaler reagieren und sagen: "Kann doch gar nicht sein, dass es plötzlich nicht mehr so läuft, die Politik ist wieder schuld."
Das Gespräch führte Monika Weiß.
Katholische Laien erwarten endgültigen Abschied von Atomenergie
"Das Umsteuern muss beschleunigt erfolgen"
"Der Schock ist so stark, dass das nicht jemand in drei Monaten ohne besondere Gründe zurückholen kann", sagt ZdK-Präsident Alois Glück im domradio.de-Interview zum Stopp der AKW-Laufzeitverlängerung. Für ihn ist klar, dass "unsere bisherige Art zu leben so nicht fortgeführt werden kann".
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