Lampedusa bleibt für viele Tunesier das Tor nach Europa

Gerettete, nicht Gelandete

Allein von Montag bis Dienstag registrierte die italienische Küstenwache 1.682 Neuankömmlinge auf dem rund 130 Kilometer vor der tunesischen Küste gelegenen Lampedusa. Zusammen mit den bereits eingetroffenen waren zeitweise etwa 3.000 Flüchtlinge auf der Insel, die selbst 4.500 Einwohner zählt. Ein Besuch.

Autor/in:
Agathe Lukassek
 (DR)

Auf Lampedusa kommen wieder junge Männer an. Jedoch werden sie nicht am Hafen vom Boot geholt, sondern steigen modisch gekleidet aus dem Linienflugzeug. Sie sind das erste Kontingent von insgesamt 100 italienischen Soldaten, die in den kommenden Tagen die rund 350 Polizisten der Staats- und Militärpolizei auf der Mittelmeerinsel unterstützen sollen. Nach dem Willen der italienischen Regierung sollen sie die Sicherheit rund um das überfüllte Aufnahmelager für Flüchtlinge aus Nordafrika gewährleisten.



In kleinen Gruppen werden sie nach und nach zumeist auf dem Luftweg in andere Lager auf Sizilien und dem italienischen Festland gebracht.



Eigentlich dürfen die Flüchtlinge das Aufnahmelager einen Kilometer nördlich des Ortes Lampedusa nicht verlassen, sagt ein Wachposten. Offensichtlich wird aber angesichts der völligen Überfüllung des auf 850 Personen ausgelegten Lagers oft ein Auge zugedrückt. So kommt es, dass junge Tunesier und Polizisten das Straßenbild bestimmen. Wer etwas Kleingeld hat, telefoniert an der Via Roma an öffentlichen Münztelefonen oder investiert es in zwei Schluck europäischen Lebensgefühls in Form von Espresso.



Von einer "neuen Art von Flüchtlingen" sprechen auf Lampedusa seit den Ankünften Mitte Februar viele, auch Pfarrer Stefano Nastasi. Seine Gemeinde hat ein Gebäude für bis zu 220 Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Vor einigen Jahren noch seien ausgehungerte, verzweifelte Menschen gekommen, so Don Stefano. Nun sehe man gesunde und motiviert wirkende Männer. Viele haben sich vor der 14-stündigen Überfahrt offensichtlich einen frischen Haarschnitt verpasst und ihre neueste Jeans angezogen; einige haben ein Handy dabei und rufen zu Hause an.



Einige Tunesier aus dem Aufnahmelager warten am Hafen, als ein weiteres überfülltes Boot eintrifft. Sie fragen Küstenwache oder Journalisten nach Neuigkeiten, halten nach Freunden Ausschau. Sie wissen, dass eines der in Zarzis gestarteten Boote kenterte und bis zu 40 Menschen ertranken. "106 Tunesier, keine Frauen, keine Kinder", sagt Giovanni Monteleone von der Küstenwache, der das alte Boot in den Hafen geleitet hatte. "Zehn davon haben wir vorläufig in unser Erste-Hilfe-Zelt gebracht", erzählt Tommaso Della Longa vom Italienischen Roten Kreuz. Wie üblich gebe es nur einige Unterkühlte und Dehydrierte; nichts Ernsthaftes.



Obwohl Lampedusa selbst keine Insel der Glückseligkeit ist, stehen die meisten Bewohner den Ankömmlingen positiv gegenüber. Die Arbeitslosigkeit sei groß, erzählt Salvatore Caffo, Direktor der Ortsverwaltung. Es gebe praktisch nur die Fischerei und den Tourismus, um den viele in dieser Saison fürchteten, falls die hohen Flüchtlingszahlen anhalten.



Rassistischen Tendenzen haben dennoch keine Chance: Als die Vorsitzende von Frankreichs rechtsextremem Front National, Marine Le Pen, die Insel am Montag besuchte, demonstrierten rund 100 Bewohner dagegen. Le Pen riet den Insulanern, die Immigranten nicht aufzunehmen, sondern sie auf dem Meer mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen. Die Inselbewohner pfiffen die Französin aus.



Normalerweise sind die Inselbewohner durchaus gastfreundlich.

Bürgermeister Bernardino de Rubeis rief die italienischen Medien auf, die Flüchtlinge nicht mehr mit dem Wort "Gelandete" zu bezeichnen. Das Wort habe einen militärischen Beigeschmack.

Stattdessen solle man lieber von "Geretteten" sprechen. Die Küstenwache komme den kaum seetauglichen Booten schließlich bis an die Grenze der italienischen Gewässer entgegen und geleite sie an Land. Manchmal werden sie von untergehenden Schiffen geholt. Aus eigener Kraft könnten sie die Küste, die für sie die Südgrenze Europas bedeutet, oft nicht erreichen.