Pfarrer Meurer schreibt Buch über Kölner Brennpunkt-Gemeinde

Die Sozialkirche

In einem sozialen Brennpunkt hat der Kölner Pfarrer Franz Meurer eine Gemeindearbeit aufgebaut, die ganz gezielt Arme und Bedürftige anspricht und die seinesgleichen sucht. Seine Erfahrungen hat Meurer gemeinsam mit dem Theologen Peter Otten in dem Buch "Wenn nicht hier, wo sonst?" zusammengefasst, das am Montag offiziell vorgestellt wurde.

Autor/in:
Andreas Otto
 (DR)

Das Besondere der Kirche ist ihr Keller. Im 800 Quadratmeter großen "Basement" von St. Theodor erstreckt sich eine eigene Welt: eine Kleiderkammer, Werkstätten, Lager für Fahrräder und Kinderwagen. Und eine Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Diese enge architektonische Verbindung von karitativen Einrichtungen und Gottesdienstraum ist das Kennzeichen der Gemeinde in dem Kölner Doppelstadtteil Höhenberg und Vingst, im Volksmund kurz "HöVi" genannt.



Dass es in der Kölner Pfarrei nicht so wie in den sonst meist bürgerlich geprägten Pfarrgemeinden läuft, wissen die Autoren nur zu gut. Nicht ohne Grund und mit einem gewissen Sendungsbewusstsein haben sie ihr Buch mit dem Untertitel "Kirche gründlich anders" versehen. "Gründlich" ist dabei wörtlich zu verstehen: Das Fundament der Seelsorge findet sich eben im Untergeschoss, in der - theologisch ausgedrückt - diakonischen Zuwendung zu den Menschen in Not.



40 Prozent leben von Hartz IV.

Von den rund 23.300 Menschen in "HöVi" leben 40 Prozent von Hartz IV. Die Arbeitslosenquote "im Veedel" beträgt um die 25 Prozent, der Anteil der Sozialwohnungen liegt weit über dem Durchschnitt. Rund die Hälfte der Bewohner und drei Viertel der Kinder haben einen Migrationshintergrund, ganze Straßenzüge werden nur von Türken bewohnt. Das ist der Background, auf dem Pfarrer Meurer sein Wirken entfaltet. Ein Schlüsselwort seiner Pastoral taucht immer wieder in seinem Buch auf: Gastfreundschaft. Denn nur durch ein "Klima der Gastfreundschaft" komme es zur Begegnung auch mit jenen Menschen, die sich in der Kirche zunächst als Fremde fühlen.



Konkret heißt das: Jeden Morgen kommt in den Sozialräumen der Kirche das Frauenteam zusammen, um Menschen in Not - oft Alleinerziehende - mit Textilien, Schulsachen oder anderen Dingen zu versorgen. Gegen Mittag gibt es einen Brunch für Ein-Euro-Jobber. Gekocht wird aber auch zu vielen anderen Anlässen. "Das ist die Basis allen kirchlichen Handelns: die Diakonie, die Barmherzigkeit", so Meurer. Auf dem Untergeschoss basiere die nach einem Erdbeben neu errichtete und 2002 eingeweihte Kirche St. Theodor - was er nicht nur architektonisch meint.



Gastfreundschaft im weiteren Sinne

Unter Gastfreundschaft im weiteren Sinne versteht Meurer gerade auch die Arbeit mit und für Jugendliche. So bietet die Pfarrei gemeinsam mit der evangelischen Gemeinde und der Moscheegemeinde jeden Morgen in der Hauptschule ein Frühstück an. Nach dem Motto "ein gesunder Geist braucht einen gesunden Leib" richtete die Gemeinde im Schulkeller eine "Muckibude" ein. Sexualpädagogische Tage sorgten dafür, dass sich die Zahl der Teeanager-Schwangerschaften stark reduzierte. Für den einen oder anderen Jugendlichen gibt es Geld, damit dieser einen "Flurförderfahrzeugschein" machen kann - Voraussetzung für einen Job als Gabelstaplerfahrer.



Es sind solche praktischen und durch Sponsoren ermöglichte Hilfen, die nach Worten von Meurer und Otten erst die Glaubwürdigweit der Kirche bewirken. "Für eine segensreiche Pastoral ist der Sozialraum immer der Ausgangspunkt", betont Meurer. Und erst wenn sich die Menschen zur gemeinsamen sozialen Verantwortung bekennen, mache das Feiern des Gottesdienstes, "die zweite Dimension kirchlichen Handelns", Sinn. "Das Üben von Barmherzigkeit, die pragmatische Hilfe führt wie selbstverständlich zur Feier des Gottesdienstes", beschreiben die Autoren das pastorale Konzept ihrer "Kirche von unten".



Hinweis: Franz Meurer und Peter Otten: Wenn nicht hier, wo sonst? - Kirche gründlich anders; Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 14,99 Euro.