Im Schicksalsjahr 1914, als die Deutschen die Kathedrale von Reims unter Feuer nahmen, schrieb Paul Fort (1872-1960), Poet des Symbolismus, traurig nieder: "Mit jeder Morgenröte neu erwacht, war sie mir treu, / Allüberall umgeben von Heiligen, Königen, Helden / Und dahinschwebenden Engeln, wie ein Baum voller Vögel." Der Beschuss war militärisch sinnlos, aber von hoher symbolischer Bedeutung: Die Kathedrale von Reims war der Krönungsort der französischen Könige, die sakrale Heimstätte der Nation.
An einem Weihnachtstag - 498, 499 oder 496? - ließ sich der heidnische Frankenkönig Chlodwig in Reims, dem Hauptort der römischen Provinz Belgica secunda, taufen. Mit einem Öl, das direkt vom Himmel kam, so will es die eigenwillige Überlieferung: Eine Taube schwebte herab und brachte eine mit Chrisam gefüllte Phiole, ein birnenförmiges Glasgefäß, zu Bischof Remi. Es ist dieses Ereignis, dieser Genius loci, der die herausgehobene Stellung des Champagne-Städtchens über die Jahrhunderte begründete. Und natürlich den sukzessiven Ausbau der Bischofskirche zu einer Krönungskirche. Die riesige Querhaus- und Choranlage ermöglichte das prächtige Zeremoniell mit all seinen Teilnehmern.
Wie die meisten mittelalterlichen Städte hatte auch Reims mit häufigen Feuersbrünsten zu kämpfen. 1210 brannte die romanische Bischofskirche nieder. Ob nicht auch eine Restaurierung durchaus möglich gewesen wäre? Tatsache ist, dass Erzbischof Aubry (Alberich) de Humbert keineswegs vorhatte, hinter den inzwischen gotischen und immer prächtigeren Bischofskirchen etwa von Chartres, Laon, Soissons und Paris zurückzubleiben. Auch die reiche Abteikirche Saint Remi am Ort selbst war für ihn eine steinerne Herausforderung.
Schlüsselbauten der französischen Kathedralgotik
Notre-Dame in Reims zählt heute mit Chartres, Amiens und Bourges zu den Schlüsselbauten der französischen Kathedralgotik um 1200. Eine Besonderheit sind ihre rund 2.300 Steinskulpturen, vor allem an der Außen-, aber auch an der Innenseite - ein "Baum voller Vögel". Berühmt sind etwa die "Königsgalerie" oberhalb der Fensterrose mit ihren 56 Figuren - darunter auch die Taufe Chlodwigs -, und die Portalskulpturen, vor allem der "lächelnde Engel" mit seiner weltentrückten Heiterkeit.
Das Wüten der Französischen Revolution überstand ausgerechnet der Figurenschatz der Krönungskathedrale fast schadlos: Lediglich einige Königsfiguren verloren ihren Kopf; die Innenausstattung ging komplett verloren. Mehr Schaden hinterließen die Säureangriffe der täglichen Umweltverschmutzung, die die Figuren heute in einen teils beklagenswerten Zustand versetzen, sowie die Bombardierung durch die Deutschen im September 1914. Der Dachstuhl brannte, die Glocken schmolzen und ebenso das Blei der Glasfenster. Dass die Mauern hielten, darf als ein Wunder gelten. Ein feuerfester Betondachstuhl wurde nach dem Krieg eingesetzt, unter anderem mit finanzieller Unterstützung der Familie Rockefeller. 1937 wurde die Kathedrale neu geweiht - nur drei Jahre, bevor die Deutschen Frankreich erneut angriffen.
Nun, zum Jubiläum am 6. Mai, darf man bis zum Schluss spekulieren, ob denn "Sarko der Große", ungekrönter König der Grande Nation, den semikirchlichen Termin an der Krönungsstätte in Reims wahrnehmen wird. Ein interessantes Spannungsfeld ist es allemal: Nicolas Sarkozy, Oberhaupt eines laizistischen Staates, sieht sich selbst in der Tradition der französischen Alleinherrscher - und zugleich inmitten eines harten Wahlkampfs um das konservative Lager.
Seine wohl schärfste Rivalin um das Präsidentenamt, Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National, punktete traditionell am 1. Mai in Paris mit einem Gedenktag für die Nationalheilige Jeanne d"Arc. Demselben Tag übrigens, an dem in Rom Papst Johannes Paul II. seliggesprochen wurde. Diese Chance, sich bei den katholischen Wählern zu profilieren, ließ der Präsident jedenfalls schon mal liegen: Er entsandte stattdessen Premierminister Francois Fillon.
Imi Knoebels Glasfenster
Zum 800-jährigen Jubiläum der gotischen Kathedrale Notre-Dame in Reims hat der deutsche Maler und Installationskünstler Imi Knoebel (70) sechs neue Buntglasfenster entworfen. Seine Neuschöpfung repräsentiert den modernen Drang zu satten Farben und soll den Platz zu beiden Seiten neben den Meisterwerken von Marc Chagall aus dem Jahr 1974 im Chor einnehmen. Knoebels abstrakter Entwurf in den Grundfarben Blau, Gelb und Rot erstreckt sich über eine Fläche von 128 Quadratmetern. Imi Knoebel selbst, Beuys-Schüler und 1940 in Dessau geboren, sieht seine Farben im architektonischen Sinne als eine Art Fundament, als Sockel eines zeitlosen Gleichgewichts. Die Glasmacher Simon Marq in Reims und die Werkstatt Duchemin in Paris haben die Entwürfe umgesetzt.
Frankreichs Krönungskathedrale Notre-Dame in Reims wird 800
"Wie ein Baum voller Vögel"
Frankreich feiert den 800. Jahrestag der Grundsteinlegung der gotischen Kathedrale Notre-Dame in Reims. Das Festprogramm umfasst Konzerte, Straßenfeste, Ausstellungen, Konferenzen und ein beeindruckendes Lichterschauspiel. Ein deutscher Künstler, Imi Knoebel, hat zum "Geburtstag" sechs Glasfenster geschaffen.
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