Kölner Kardinal räumt Fehler der Kirche bei der Wahrheitssuche ein

"Annus horribilis"

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat das vergangene Jahr als ein "annus horribilis", ein schreckliches Jahr, für die katholische Kirche bezeichnet. In puncto Wahrhaftigkeit sitze die Kirche nach den bitteren Erfahrungen des letzten Jahres in einem Glashaus, sagte der Erzbischof am Mittwoch bei einem Medienempfang in der Domstadt.

 (DR)

Ohne explizit auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche einzugehen, räumte Meisner ein, die katholische Kirche sei im Blick auf die Wahrheitssuche manches Mal hinter ihrem eigenen Anspruch zurückgeblieben. "Dadurch ist für viele in bedenklicher Weise auch die Glaubwürdigkeit unserer Botschaft in Mitleidenschaft gezogen worden", sagte er.



Die katholische Kirche tue alles, "dass sich dies nach allem menschlich Möglichen nicht wiederholt", versprach der Kardinal.



Zwangsarbeiter der sogenannten öffentlichen Meinung

Der Erzbischof rief die Journalisten auf, dem "Reiz der bloßen Aufmerksamkeit" zu widerstehen und "keine Zwangsarbeiter der sogenannten öffentlichen Meinung" zu werden. Sie dürften sich nicht abhängig machen "von bloßen Mehrheiten, die für sich genommen keine Wahrheit garantieren können". Wahrheit sei etwas anderes als Nützlichkeit oder Trend und "nicht beliebig". Vielmehr habe sie in Jesus ein Gesicht.



Weiter betonte der Kardinal, dass sich alle Ideologien des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts "als nicht tragfähig erwiesen" hätten. Dazu zählten Sozialismus, Kommunismus, Konsumismus und "zuletzt auch die Ideologie eines weltweiten Kaufrauschs, bei dem die Banker und Broker buchstäblich mit Luft gehandelt haben". Leidtragende seien die Schwachen und Machtlosen in der Gesellschaft.



Lob für Anstrengungen des Papstes um die Piusbrüder

Die Anstrengungen von Papst Benedikt XVI. um die traditionalistische Piusbruderschaft lobte der Kölner Kardinal. Er habe sehr viel auf sich genommen, um die 1988 von Rom abgespaltene Piusbruderschaft wieder "heim zu holen", sagte der Kölner Erzbischof. Wenn die Piusbrüder aber "das Konzil nicht annehmen, müssen sie draußen vor bleiben", betonte er.



Nach den Worten des Erzbischofs sind die Texte des Zweiten Vatikanisches Konzils (1962-1965) unterschiedlich interpretiert worden, was Verwirrungen zur Folge gehabt habe. So habe sich eine Bewegung entwickelt, die sich auf den Geist des Konzils berufe, nicht aber auf die Buchstaben der Texte. Die katholische Kirche werde die Piusbrüder auch im Falle einer ablehnenden Haltung "nicht loslassen". Die Hoffnung auf ein Zusammenkommen höre nie auf.



Weimer: "Seltsame Hierarchie von Wichtigkeiten"

Der Journalist Wolfram Weimer kritisierte in seiner Rede "eine seltsame Hierarchie von Wichtigkeiten" in Deutschland. Früher hätten Kinder gerne Forscher, Ingenieur oder Ärztin werden wollen, heute dagegen träumten sie von den drei "Äußerlichkeitsberufen" Model, Fußballer und Showmaster. Die technische und wissenschaftliche Intelligenz werde gering geschätzt, die rhetorische höher und die inszenatorische am höchsten. "Lieber schauen wir auf Heidi Klums stolzierende Mädchen" und ließen "Tausende unserer besten Wissenschaftler auswandern".



Weiter bemängelte der frühere Chefredakteur der Magazine "Focus" und "Cicero" eine "systematische Führungslosigkeit in Politik und Parlamenten". Fernseh-Talkshows liefen dem Parlament den Rang ab. Die Willensbildung verschiebe sich derart ins Mediale, dass Minister heute ein Illner-Sendung als wichtiger erachteten als zehn Bundestagsdebatten. Weimer wandte sich gegen eine "Power-Point-Selbstpräsentationswelt". Politiker, Professoren, Unternehmer, Sportler und selbst Bischöfe würden zusehends darauf achten, "dass sie medial geschmeidig und präsent sind". Viele historisch weise Entscheidungen in der Bundesrepublik seien aber "gegen Mainstream, Mehrheit und Mitte durchgesetzt worden", betonte er.