Vier Kritiker beklagen den Niedergang der CDU

Eine Partei in der Identitätskrise

War die CDU vor einem Jahr noch eine andere? Damals fand der Parteitag in Karlsruhe statt, Baden-Württemberg wurde noch von der Union regiert, die Atomenergie war noch eine Brückentechnologie, und ein allgemeiner Mindestlohn galt bei den Konservativen als Teufelszeug. Seitdem ist viel geschehen.

Autor/in:
Volker Resing
 (DR)

Wenn sich die CDU-Delegierten am kommenden Wochenende zum Parteitag in der Leipziger Messe versammeln, haben sie es programmatisch mit einer in Teilen veränderten Partei zu tun. Dagegen rührt sich Protest von konservativer Seite. Der frühere brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) beklagt in einem neuen Buch: "Die Partei wird stromlinienförmig und inhaltsleer"; sie verrate ihre Seele. Die Bundesvorsitzende der "Christdemokraten für das Leben" (CDL), Mechthild Löhr, meint, in der CDU sei das christliche Menschenbild zur "gern zitierten Worthülse" verkommen.



Die Kritiker der Parteivorsitzenden Angela Merkel beklagen ein Aufgeben von ehedem unverrückbaren Positionen sowie die Preisgabe christlicher Identität. "Mangelnde Berechenbarkeit" und "schnelle Stellungswechsel" macht der Ex-General Schönbohm in dem Buch "Schluss mit dem Ausverkauf" aus. Den "traurigen Niedergang der Union" beklagt der Untertitel. Kritisiert wird die "bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist und der allgemeine Verfall unserer Parteiendemokratie". Das Buch, herausgegeben von dem Journalisten Alexander Kissler, ist in Form eines Gesprächs zwischen dem Politologen Arnulf Baring, dem Bildungspolitiker Josef Kraus sowie Löhr und Schönbohm gehalten.



Opportunistisch statt werteorientiert

Ausstieg aus der Atomenergie, Abschaffung der Wehrpflicht, Veränderungen in der Familienpolitik und auch die Ausrichtung in der

Sozial- und Wirtschaftspolitik werden beklagt. Die CDU müsse sich "von der Staatsfixierung" lösen und wieder zur Subsidiarität zurückfinden. "Die Politik ist nicht dazu da, dem Bürger durch ständige Bevormundung und Entmündigung zum "richtigen" Bewusstsein zu verhelfen und ihm dabei immer mehr Freiheit und Verantwortung abzunehmen", meint Löhr.



Darüber hinaus wird der Politikstil kritisiert - als nicht mehr werteorientiert, sondern als opportunistisch. Merkel stehe in Person für diese Beliebigkeit. Löhr meint - bezogen auf das "C" im Parteinamen: "Die Union will offensichtlich über gelegentliche Gesprächsrunden hinaus keine Partei vor allem für Christen mehr sein." Die neue Botschaft laute, so Löhr: "Alle mögen leben und wertschätzen, wie und was sie wollen, Hauptsache, sie wählen dennoch CDU. Dieser Verzicht auf alles Normative, Klare, Entschiedene, auf Identität und Verlässlichkeit ist wohl der Hauptgrund für die Abwanderung aus der CDU."



Fehlende Wahlerfolge als Beweis

In der konkreten inhaltlichen Analyse der Sachfragen haben die vier Kritiker der neuen Parteilinie wenig Konkretes entgegenzusetzen, doch den wunden Punkt, den sie ausmachen, sind die fehlenden Wahlerfolge. Die Modernisierung der Partei habe eben nicht neue Wählerschichten erschlossen, sondern die Stammwähler vergrault, so die Meinung. Da die CDU kein Profil mehr habe, engagiere sich auch keiner mehr für sie, heißt es. "Die CDU ist für junge Leute schlicht und einfach nicht attraktiv", weiß Schönbohm. Keiner wisse, wofür die CDU stehe.



Das Buch fegt mit einem gewissen Furor durch die Partei und die politische Landschaft. Dabei schwingt ein gewisser Weltschmerz mit.

In seinem Vorwort schreibt der Kulturjournalist Kissler: Auch wer sich um den "christlichen und konservativen Kern des Parteiprogramms" bemühe, finde an der Spitze der Partei damit kein Gehör. Kissler und mit ihm seine vier Gesprächspartner bedienen das Klischee einer Einheitlichkeit von christlichem und konservativem Gedankengut in der CDU. Diese hat aber wohl weder bei Kohl noch unter Adenauer bestanden. Bisweilen mutet das Gespräch dann doch an wie das sehnsuchtsvolle Schauen auf eine in Gold getunkte Vergangenheit.



Hinweis:

Arnulf Baring, Josef Kraus, Mechthild Löhr, Jörg Schönbohm

Schluss mit dem Ausverkauf!

Landt Verlag

Berlin 2011

128 Seiten