Familienkongress blickt auf Rolle der Großeltern

Der "Alm-Öhi" schickt die Frauen vor

Im Miteinander der Generationen nehmen die Großeltern eine immer wichtigere Rolle ein. Das liegt vor allem daran, dass sie älter werden als früher. Folglich haben sie immer mehr Zeit, ihre Enkel zu betreuen und mit ihnen die Welt zu entdecken.

Autor/in:
Dieter Schneberger
 (DR)

In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gerieten die Großeltern ins gesellschaftliche Abseits. Familiensoziologen und -therapeuten erklärten sie entweder zum autoritären und stetig nörgelnden Belastungsfaktor oder hielten sie schlichtweg für überflüssig. Zum Leitbild für die psychisch und sozial stabile Industriegesellschaft wurde die mobile Kernfamilie erkoren - durchgesetzt hat sich dieses Leitbild aber nicht. Stattdessen wird derzeit die Wiederentdeckung der Mehr-Generationen-Familie gefeiert, so auch am Donnerstag beim 5. Frankfurter Familienkongress.



Die Gründe für das Umdenken liegen auf der Hand. Da sind zunächst nicht eingelöste Versprechen: Immer noch fehlen Krippenplätze, betreuende Grundschulen und Teilzeitjobs. Und immer noch hetzen Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs von einem Termin zum nächsten: Schule, Nachhilfe, Klavierstunde, Schwimmtraining, Ballett. Schon allein deshalb sind die Omas und Opas wieder geschätzte Mitstreiter bei der Sozialisation der Kleinsten.



"Großeltern werden vor allem stundenweise bei der Betreuung der unter Dreijährigen, der Kinder im Grundschulter und bei Krankheiten gebraucht", hat die Aachener Soziologin Katrin Hater beobachtet. Glücklicherweise lebten heute noch 60 Prozent aller Menschen mit einem ihrer erwachsenen Kinder an einem Ort, so dass sie ihre Rolle auch "mit sehr viel Anteilnahme und Diskretion, mit Engagement aber ohne Einmischung" ausfüllen könnten.



"Das moderne Kind hat heute zwei Kinderzimmer und acht Großeltern"

Positiv auf das gesamte Familiensystem wirkt sich auch die längere Verfügbarkeit der Großeltern aus. Sie leben heute viel länger als früher, und es gibt immer mehr von ihnen, denn immer mehr Kinder bekommen durch neue Partner ihrer Eltern, durch Trennung oder Scheidung noch weitere Omas und Opas dazu.



"Das moderne Kind hat heute zwei Kinderzimmer und acht Großeltern", bringt es die Frankfurter Personaldezernentin Manuela Rottmann auf den Punkt. Auf diese Wirklichkeit müsse die Politik reagieren, indem sie etwa pädagogische Angebote für Senioren schaffe oder Enkel unterstütze, die ihre Großeltern pflegen wollen.



Den jungen Alten wird einiges abverlangt. Schließlich werden sie heute von ihren Kindern mit einer Vielfalt postindustrieller Lebens- und Familienformen konfrontiert: Unverheiratet zusammenlebende Paare, binationale Familien, homosexuelle Partnerschaften mit Kindern, alleinerziehende Mütter oder Väter, Patchwork-Konstellationen. Nach Haters Angaben sind die neuen Großeltern nun auch in der Familienbildung angekommen: So habe 2010 der Deutsche Kinderschutzbund das Projekt "Starke Großeltern - Starke Kinder" gestartet, an dem in Aachen bisher rund 40 Personen, vor allem Großmütter, teilgenommen hätten.



Für den Siegener Psychologen und Familientherapeuten Rüdiger Kißgen muss die Mitwirkung der Großeltern etwa bei der Betreuung der Enkel nicht zwingend zu einer Entlastung führen. "So können beispielsweise zwischen den Eltern und den Großeltern alte Konflikte wieder aufbrechen oder ein Konkurrenzkampf um die Gunst des Kindes entbrennt." Hauptbeziehungspersonen könnten Oma und Opa nicht sein, betont der Professor für Entwicklungswissenschaft und Förderpädagogik. Wenn sie flexibel seien, stellten sie jedoch mit ihrer "verlässlichen, liebevollen und kompetenten" Betreuung eine Bereicherung für das Kind dar.



Dass Großväter, anders als der von Johanna Spyris "Heidi" heiß geliebte "Alm-Öhi" weder in den Großeltern-Kursen noch in der Forschung groß in Erscheinung treten, hat offenbar weniger damit zu tun, dass sie nichts mit ihren Enkeln zu tun haben wollen. "Sie sind genauso aktiv, schicken aber lieber ihre Frauen in Kurse und auf Kongresse", hat etwa Susanne Feuerbach vom Frankfurter Kinderbüro beobachtet. Und für sogenannte Längsschnittuntersuchungen, in denen etwa auch die Rolle von Großvätern beleuchtet werden könnte, fehlt nach den Worten von Kißgen "schlichtweg das Geld".