Rabbiner warnt vor weiterer Radikalisierung der ultraorthodoxen Israelis

"Sie lassen sich den Vandalismus bezahlen"

Angesichts der Übergriffe militanter frommer Juden auf Mädchen und Frauen warnt der Rabbiner Shlomo Tikochinski vor einer Radikalisierung der ultraorthodoxen Israelis. Die jüngsten Ereignisse bewertet der jüdische Gelehrte als Katastrophe.

Autor/in:
Susanne Knaul
 (DR)

Für die fundamentalistische Gruppe unter den Ultraorthodoxen, die Frauen aus Bussen und von Bürgersteigen verbannen will, sei Langeweile das Hauptmotiv, sagte der Rabbi in einem epd-Gespräch. Sie lebten von Spenden aus Stiftungen und reicher Gemeinden in den USA und müssen nicht arbeiten. Jeder Tag in "zionistischer Untersuchungshaft" werde hoch belohnt: "Sie lassen sich den Vandalismus gegen den Staat Israel bezahlen", kritisiert Tikochinski, der am Van-Leer-Institut in Jerusalem Geschichte des jüdischen Volkes lehrt.



Zentrum des Konfliktes ist die Kleinstadt Beit Schemesch, 30 Kilometer südwestlich von Jerusalem, in der sehr viele ultraorthodoxe Juden wohnen. Weil die ultraorthodoxe Hochburg Mea Schearim in Jerusalem zu eng geworden war, wurden vor rund 20 Jahren Wohnungen für junge Familien in Beit Schemesch gekauft. "Dort sind die Männer noch radikaler geworden." Sie setzten sich zum Ziel, ein noch fundamentalistischeres Mea Schearim zu bauen, sagte Tikochinski. Er selbst bezeichnet sich als moderaten Ultraorthodoxen. Vor zwei Wochen schloss er sich den Demonstrationen gegen die militanten Ultraorthodoxen an.



"Der Konflikt ist außer Kontrolle geraten"

"Wenn man bei der Geschlechtertrennung nicht auf die Bremse tritt oder einen klaren Standard festlegt, werden die Fundamentalisten sie immer weiter vorantreiben", warnt der Rabbiner. Die jüngste Radikalisierung und Frontenbildung zwischen den Ultraorthodoxen und den weltlichen Israelis ist aus Sicht des Rabbiners eine Katastrophe und ein Rückschlag für die Integration der frommen Juden in die israelische Gesellschaft. Die Angst vor dem Vorwurf, nicht fromm genug zu sein, sei auch dafür verantwortlich, dass die Moderaten unter den Ultraorthodoxen bei der Geschlechtertrennung mitmachten, obwohl sei mehrheitlich dagegen seien, argumentiert Tikochinski.



Anstatt zur Beruhigung beizutragen trügen die ultraorthodoxen Medien zur einer Hysterie bei, "die zum Missbrauch von Judenstern und KZ-Uniform führte", beklagt der Historiker. Er fügt hinzu, es gehe nicht nur um Busse und die Geschlechtertrennung, sondern um das "Sein oder Nichtsein" von Ultraorthodoxen in dem jüdischen Staat: "Der Konflikt ist außer Kontrolle geraten."