Vor 200 Jahren wurde Charles Dickens geboren

Die Stimme der Entrechteten

Als er im Alter von 58 Jahren starb, war er der populärste Autor seiner Zeit. Populär ist sein Werk auch danach geblieben. In Großbritannien wird in diesen Tagen der 200. Geburtstag von Charles Dickens groß gefeiert. Das ganze Jahr über erinnern Veranstaltungen an den Unvergessenen, der auch außerhalb des englischen Sprachraums seine Fans und Leser hat.

Autor/in:
Peter W. Kohl
 (DR)

Als Dickens am 7. Februar 1812, vor 200 Jahren, in Portsmouth als zweites von acht Kindern eines Büroangestellten geboren wird, sind seine Zukunftsaussichten alles andere als rosig. Der Vater, ein halb possierlicher, halb verantwortungsloser Bruder Leichtfuß bringt sich selbst und damit die ganze Familie, die mit ihm nach London umgezogen ist, ins Schuldengefängnis. Nur Charles erhält die Gelegenheit, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen. Mit elf Jahren füllt er Schuhwichse in Büchsen zusammen mit anderen Jungen, die - weil der Fabrikbesitzer Geld für die Beleuchtung sparen will - ihre Arbeit im Schaufenster verrichten, den Blicken der Passanten preisgegeben.



Nachdem eine kleine Erbschaft die Familie aus der ärgsten Not befreit hat, kann Charles doch noch zur Schule gehen, die er mit 15 Jahren aber auch schon wieder verlassen muss, um Lehrling bei einem Rechtsanwalt zu werden. Hier erhält er Innenansichten von Kanzleistuben und Rechtsgeschäften, die später in seine Romane einfließen. Auch seine Stenografie-Kenntnisse kommen ihm als Schriftsteller zugute; manisch notiert er alles, was er erlebt, erfährt und beobachtet.



Und dann Bestsellerautor

Unter dem Pseudonym "Boz" erscheinen ab 1833 seine ersten "Sketches", literarische Miniaturen, in Zeitschriften. 1836 erblicken die "Pickwicker" das Licht der Welt, eine lose Sammlung von Anekdoten und Schnurren, zusammengehalten von der Figur des Mr. Pickwick, die als Texte zu Karikaturen von Zeichnern wie George Cruikshank entstanden sind. Der Erfolg ist ungeheuer.



Fortan ist Dickens ein Bestsellerautor. Die Geschichte des im Arbeitshaus erzogenen Waisenknaben "Oliver Twist" (1837/1838) steigert seinen Ruhm. Die Verquickung der schonungslosen Schilderung sozialer Missstände mit melodramatischer Handlung und rührender Komik wird zum Markenzeichen des frühen Dickens, der in "Nicholas Nickleby" (1838/1839), "Der Antiquitätenladen" (1840/1841) und "Martin Chuzzlewit" (1843/1844) weitere kauzige Charaktere schafft.



1843 erscheint die "Weihnachtsgeschichte" um den hartherzigen Geizhals Ebenezer Scrooge, der durch die Geister der Weihnacht geläutert wird. Bis heute gibt es unzählige Bearbeitungen und Verfilmungen dieser Geschichte, deren Antiheld Pate stand bei der Entwicklung der Comicfigur Dagobert Duck. Unübersehbar von der eigenen Lebenserfahrung geprägt ist der Entwicklungsroman "David Copperfield" (1849/1850), der als Dickens" Meisterwerk gilt. Weniger populär ist das tausendseitige Opus "Bleak House" (1852/1853) über einen ausufernden Erbschaftsstreit, in dem Dickens die unmenschliche Kälte des Justizapparats bloßstellt. Hier wie auch in "Harte Zeiten" (1854) und "Klein Dorrit" (1855-1857) ist die Gesellschaftskritik nicht mehr gemütvoll-humoristisch abgefedert.



Am 9. Juni 1870 stirbt Dickens

Populärer sind dann wieder die Spätwerke "Die Geschichte zweier Städte" (1859), eine Schilderung von Paris und London zurzeit der Französischen Revolution, und der an "David Copperfield" erinnernde Roman "Große Erwartungen" (1860/1861). Dickens, der sich ein hochherrschaftliches Haus in Rochester leistet, schreibt unermüdlich, selbst auf seinen Reisen und Lese-Tourneen. Über dieser Schreibwut zerbricht nach 22 Jahren die kinderreiche Ehe mit Katherine Hogarth. Deren Schwester Georgina führt ihm in den letzten Jahren den Haushalt.



Dass ihm nicht nur mit ihr eine außereheliche Affäre nachgesagt wurde, stört seinen Ruhm im viktorianischen England nicht wesentlich. Sich buchstäblich zu Tode schreibend, kann er "Das Geheimnis des Edwin Drood" nicht mehr lüften. Als er am 9. Juni 1870 nach einem Schlaganfall stirbt, ist gerade mal der erste Teil des Romans erschienen.