Vor den Präsidentschaftswahlen eskaliert der Protest

Im Senegal wächst die Gewalt

Vor den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag spannt sich die Lage im Senegal weiter an. Im Zentrum der Hauptstadt Dakar liefern sich Polizei und Demonstranten täglich Straßenschlachten. Die Wut der meist jungen Menschen richtet sich vor allem gegen Amtsinhaber Abdoulaye Wade, der mit Hilfe einer Verfassungsänderung zum dritten Mal um das höchste Staatsamt kandidieren darf - und mit aller Macht Präsident bleiben will.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

"Hier siehst du vier Steine", brüllt ein Demonstrant mit schwarz-violetter Trainingsjacke und blauer Baseballmütze. "Jeder einzelne ist für Wade. Und alle vier werde ich auf ihn abfeuern." Der Mann rennt los. Zwar nicht zum Präsidenten, aber doch in Richtung Polizei; er zielt und wirft. Überall brennen Reifen und Holzlatten. Die Polizisten quittieren dies mit Tränengas und Gummigeschossen, was die vielen Demonstranten nur noch wütender macht und die Stimmung aufheizt. Die ersten Verwundeten werden abtransportiert. Einem senegalesischen Medienbericht zufolge soll am Sonntag in einem Vorort von Dakar ein 26-jähriger Student ums Leben gekommen sein.



Rund um die Moschee an der Avenue Lamine Gueye im Stadtteil Plateau, wo am Sonntagnachmittag die Ausschreitungen tobten, herrscht nicht nur Wut auf das System, sondern auch Entsetzen. Denn in die Moschee haben am Freitagnachmittag mehrere Polizisten Tränengasgranaten geworfen. Genau in diesem Moment beteten viele Gläubige.



Amadou Sylva war zum Glück nicht selbst dort. "Aber das ist unglaublich. Ausgerechnet eine Moschee", sagt der ältere Mann. Er weiß, wie viel Glück er hatte. Denn manchmal kommt auch er zum Freitagsgebet hierher. Jetzt will er eigentlich nur hören, was der Imam zu sagen hat, und steht etwas abseits der Demonstranten. Wer weiß, wo der nächste Stein fliegt? Er dreht sich vorsichtig um, will nicht in die Schusslinie geraten.



Zeichen für Demokratieverfall

Amadou Sylva kann den Ärger der meist jungen Demonstranten verstehen. Auch wenn sie hauptsächlich durch die Straßen ziehen und grölen, Wade solle lieber heute als morgen verschwinden: Auch Sylva ist enttäuscht vom Präsidenten: "Senegal, das war ein Land der Demokratie. Diesen Ruf hatten wir - und jetzt das." Er macht eine ausladende Bewegung und deutet auf die Seitenstraße, in der sich die Polizei aufgebaut hat.



Die Unruhen vor der Wahl sind für den alten Senegalesen nicht das einzige Zeichen eines Demokratieverfalls. Amadou Sylva spielt auf die Verfassungsänderung von 2008 an. Wade schob sie nach seiner ersten Wiederwahl an; nun macht sie seine neuerliche Kandidatur möglich. Ein ganz schlechtes Zeichen für ein Land, findet Amadou Sylva. Die Hintergründe dafür seien klar: Die ganze Wade-Familie sei machtversessen und hänge von der Politik als lukrativer Einnahmequelle ab: "Eine fürchterliche Verstrickung." Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Es wird spekuliert, dass der Präsident seinem Sohn Karim die Macht übergeben wolle.



Gerade die jungen Demonstranten werfen dem Präsidenten noch eines vor: Er ist bereits 85, vielleicht auch - wie immer wieder gemunkelt wird - noch ein paar Jahre älter: viel zu alt jedenfalls, um ein Land zu regieren, in dem 43 Prozent der Menschen unter 14 Jahre jung sind. Etwas diplomatischer haben das mittlerweile auch die USA und die einstige Kolonialmacht Frankreich ausgedrückt: Man wünsche sich, dass die Macht in jüngere Hände gelegt wird.



Hoffnung macht vielen Senegalesen die Oppositionsbewegung M23 (Bewegung 23. Juni). Sie gründete sich am 23. Juni 2011, als Wade seine erneute Kandidatur bekanntgab. Seitdem organisieren Anhänger regelmäßig Demonstrationen, fordern aber auch, dass diese friedlich verlaufen müssten. Das ist allerdings in weite Ferne gerückt. Denn bis zu den Wahlen am Sonntag wird sich die Lage eher noch zuspitzen. Und wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit erhält, kommt es zu einer Stichwahl.