Streit um Deutung einer Studie zur Einstellung junger Muslime

Interpretationen

Eine Studie im Auftrag des Innenministeriums zu Einstellungen junger Muslime sorgt für Streit. Demnach befürwortet eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime Integration. Ein Teil von ihnen zeige aber auch eine Tendenz zur Gewaltakzeptanz. Während Innenminister Friedrich vor radikalen Ansichten warnt, lehnt die Integrationsbeauftragte Böhmer Pauschalurteile ab. Auch Axel Ayub Köhler kritisiert im domradio.de-Interview, zur Integrationspolitik gehörten zwei.

 (DR)

"Ich vermisse nach meinem Überblick doch die Fragen nach den Fehlleistungen der bundesdeutschen Integrationspolitik", so Axel Ayyub Köhler, Beiratsmitglied des Zentralrats der Muslime, am Donnerstag gegenüber domradio.de. Bisher hätten sich die Regierungen darum "gedrückt", Islam und Muslime in das deutsche Religionsverfassungsrecht zu integrieren. Folge davon sei, dass Muslime über keinen definierten Platz in der deutschen Gesellschaft und im deutschen Recht verfügten. "So sind die Muslime immer nur eine anonyme Masse, über die man nun, wie man hier sieht, auch wieder eine Studie gemacht hat", kritisiert Köhler.  



Innenminister zeigt sich besorgt über Studienergebnis

Zuvor hatte sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) besorgt über die Ergebnisse der Integrations-Studie seines Ministeriums gezeigt. Friedrich sagte dazu der "Bild"-Zeitung (Donnerstag): "Deutschland achtet die Herkunft und kulturelle Identität seiner Zuwanderer. Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten.



"Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben - dies klarzumachen, ist die Aufgabe eines jeden."





Nach dem Bericht befürworten 78 Prozent der deutschen Muslime Integration. Bei den nichtdeutschen Muslimen sind es hingegen nur 52 Prozent. Zudem machten die Forscher bei jungen Muslimen zwischen 14 und 32 Jahren eine "Subgruppe" Integrationsunwilliger mit Tendenz zu Gewaltakzeptanz aus. Bei deutschen jungen Muslimen umfasst diese Gruppe demnach 15 Prozent, bei jungen nichtdeutschen Muslimen sogar 24 Prozent.



Religiosität als Ursache benannt

Ursachen für diese potenziellen Radikalisierungstendenzen lägen unter anderem im Ausmaß der "traditionellen Religiosität" und "autoritärer Einstellungen", schreiben die Forscher. Auch die Orientierung an "Macht" und "Erfolg" sowie das Erleben von Diskriminierung trügen dazu bei, dass diese Gruppe sich zu streng religiösen Muslimen mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen entwickele.



Gemein ist den in Deutschland lebenden Generationen von Muslimen nach einer Auswertung von Interviews, dass sie eine Pauschalverurteilung der Muslime als Terroristen und eine vorschnelle Verknüpfung des Islam mit dem Terrorismus erleben. Eine stark negative Rolle wird demnach auch den Medien zugeschrieben, die aus Sicht der Befragten oft negativ und undifferenziert berichteten.



Studie: Viele Muslime erleben deutsche Mitbürger als abweisend

Insgesamt fühlen Muslime sich in Deutschland wohl, auch wenn sie die deutsche Bevölkerung oft als distanziert und abweisend erlebten.





Die Bundesintegrations-Beauftragte Maria Böhmer (CDU) bezweifelte die Aussagekraft der Studie. Der Schwerpunkt der Studie liege auf Personen aus arabisch- und türkischsprachigen Ländern. Die Untersuchung sei damit nicht repräsentativ für Deutschland. "Umso mehr warne ich vor schnellen Pauschalurteilen", sagte Böhmer.



Integrationsbeauftragte warnt vor Pauschalurteilen

Auch die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, warnte vor "übereilten Schlussfolgerungen". Die Studie selbst fordere, populistische Verkürzungen zu vermeiden. "Das hätte ich mir auch von ersten Deutungsversuchen gewünscht", sagte sie mit Blick auf die Vorab-Veröffentlichung der Studie in der "Bild"-Zeitung. Das Blatt hatte vor allem die Radikalisierung junger Muslime hervorgehoben. Die Forscher der Studie fordern indes selbst, einen differenzierten Umgang mit Religiosität und Fundamentalismus zu fördern.



Kritik an der Studie und der Interpretation der Daten kam auch aus SPD, FDP, Linkspartei und den Grünen. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) warf dem Bundesinnenminister vor, dazu beizutragen, junge Muslime zu stigmatisieren. "Ich muss mich schon wundern, dass das BMI erneut Steuergelder darauf verwendet, eine Studie zu finanzieren, die Schlagzeilen produziert, aber keinerlei Erkenntnisse", sagte der integrationspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Serkan Tören, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".



"Religiosität und Gewalt sind kein Automatismus"

Das religiöse Bekenntnis vieler junger Muslime sei oft nur "eine leere Hülse", die nicht mit gelebter Religion einhergehe, sondern "Provokation und kulturelle Abgrenzung" sein wolle. "Religiosität und Gewalt sind kein Automatismus, das beweisen andere Studien und meine persönliche Erfahrung", sagte der türkischstämmige Politiker.



"Vielmehr haben wir es bei jungen Gewalttätern mit sozialen Fragen zu tun und nicht mit religiösen."





Die Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland" behandelt auf mehr als 760 Seiten unter anderem die Themen Integration und Werteeinstellungen in mehreren Generationen, eine Auswertung muslimischer Internetforen, Gruppeninterviews mit muslimischen Jugendlichen und eine Auswertung der Berichterstattung von Fernsehsendern deutscher, türkischer und arabischer Sprache. Sie wurde von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern umgesetzt.