Gerontopsychologe erforscht Zusammenleben von Jung und Alt

"Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein"

Jung gegen alt oder alle miteinander - wie es um die Beziehungen zwischen den Generationen steht, erforscht der Heidelberger Gerontopsychologe Andreas Kruse seit vielen Jahren. Am Samstag nimmt er an der bundesweiten Eröffnung der kirchlichen Aktion "Woche für das Leben" in Freising teil. Die stellt das Zusammenleben der Generationen in den Mittelpunkt. Im Interview spricht er über die hohe Solidarität zwischen den Generationen.

 (DR)

KNA: Herr Professor Kruse, wie fern sind sich Jung und Alt?

Kruse: Viele unserer Erhebungen zeigen für Deutschland gute, tragfähige Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb wie außerhalb der Familie. Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein. Wir beobachten eine hohe Solidarität zwischen den Generationen und eine große Offenheit füreinander. Ich würde übrigens auch den politischen Parteien empfehlen, nicht zu sehr zwischen Jugend und Alter zu trennen, sondern generationenübergreifend zu denken.



KNA: Wie sieht es aus im täglichen Leben? Etwa, wenn Ältere über Kinderlärm klagen oder Jüngere Älteren keinen Platz in der U-Bahn anbieten?

Kruse: Auch da finden wir viele Zeichen eines guten Zusammenlebens. Einzelne Konflikte verleiten bisweilen zu der Annahme, die Generationen verstünden sich nicht. Sicherlich gibt es Lebensstile bei Jungen und Alten, die gegenseitig nicht auf Verständnis stoßen. Aber man sollte seine Bewertung der Generationenbeziehungen nicht an einem kritischen Vorfall in der U-Bahn festmachen. Wenn Sie Ältere fragen, ob sie Interesse haben, sich für Jüngere zu engagieren, dann sagen viele: Ja, wenn wir damit jungen Menschen helfen können, gern. Auch Jüngere freuen sich über Unterstützung von Älteren. Entscheidend ist, dass wir mehr und mehr Begegnungsmöglichkeiten schaffen.



KNA: Und wo könnten sich Generationen begegnen?

Kruse: Die Kirchengemeinde ist ein gutes Beispiel. Denken Sie auch an Chöre oder an Diskussionsgruppen in der Schule oder in anderen Bildungseinrichtungen. In diesem Zusammenhang finde ich zum Beispiel Bürgerzentren wichtiger als getrennte Jugend- oder Seniorenzentren. In diesen können Jüngere und Ältere ihren Beschäftigungen nachgehen, sich aber auch begegnen und etwas gemeinsam unternehmen. Noch einmal: Man muss die Generationen zusammenbringen, dann wird daraus eine Erfolgsgeschichte.



KNA: Wie wichtig ist die Zeit, wenn sich Jung und Alt begegnen?

Kruse: Sehr wichtig. Die Älteren haben diese Ressource. Wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, dann verfügen sie in aller Regel auch über die Zeit, die sie jungen Menschen zur Verfügung stellen können. Diese Zeit fehlt Jugendlichen. Sie fehlt vor allem jungen Menschen, die eine Familie gründen wollen. Diese haben oft wenig Zeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Da können Ältere sehr positiv wirken.



KNA: Inwiefern lernen Jung und Alt voneinander?

Kruse: Beide profitieren sehr für ihre persönliche Entwicklung. Jugendliche sind ja mitten in der Identitätsfindung. Wenn sie auf Ältere treffen, kann dies die Zeitperspektive positiv beeinflussen. Sie begegnen Menschen mit sehr viel Lebenswissen. Im Gegenzug können Jüngere die Älteren motivieren, sich mit neuen geistigen Inhalten auseinanderzusetzen und offen zu bleiben.



KNA: Die Gesellschaft wird immer älter. Was muss sich in Zukunft ändern, auch damit die Beziehungen zwischen Generationen noch besser werden?

Kruse: Die Arbeitszeit muss flexibler werden. Wer im Alter noch arbeiten kann und will, sollte die Möglichkeit dazu bekommen. Der zweite große Bereich ist das zivilgesellschaftliche Engagement. Wir erkennen, dass auch ältere Menschen bereit sind, sich einzubringen.

Dieses Engagement sollte durchaus finanzielle Anreize erhalten. Und drittens muss die soziale Gerechtigkeit auch innerhalb einer Generation betrachtet werden. Wir beobachten schon jetzt eine große finanzielle Ungleichheit unter älteren Menschen. Hier könnten bestimmte Formen einer Umverteilung hilfreich sein, um diese Ungleichheit abzubauen.



KNA: Und was sollte die jüngere Generation tun?

Kruse: Die soll sich ihre Offenheit und Zukunftsperspektive bewahren - und möglichst offen auf andere Generationen zugehen. Dies tun viele heute und sie sollten so weitermachen.



Das Interview führte Veronika Wawatschek.



Hintergrund

Seit mehr als 20 Jahren engagieren sich die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland in jedem Frühjahr mit der Woche für das Leben für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens und für seinen Schutz in allen Lebensphasen. Gesetze und staatliche Rahmenbedingungen sind dafür wichtig - aber sie sind nicht alles. Wir brauchen ein Gemeinwesen, in dem die Starken für die Schwachen eintreten. Vor allem Kinder, Sterbende und kranke Menschen, aber auch Menschen mit Behinderung oder Familien, die von Armut bedroht sind, sind darauf angewiesen, dass die Gemeinschaft sie mitträgt und für Unterstützung und Ausgleich sorgt. Mit finanziellen Mitteln, Einrichtungen und Diensten, aber auch im alltäglichen Miteinander. Soziale Netze in Nachbarschaften, Vereinen und Verbänden, Schulen und Kirchengemeinden halten unsere Gesellschaft zusammen. Das Miteinander ist eine starke Kraft. Jeder von uns, auch die, die heute gesund und stark sind, ist auf die Gemeinschaft angewiesen - und jeder kann erfahren, dass sein Leben durch den Einsatz für andere neuen Sinn bekommt.



Unter dem Motto "Engagiert für das Leben" soll die Woche für das Leben 2011-2013 deutlich machen, was unsere Gesellschaft zusammenhält und wie wichtig ein soziales Miteinander ist. Wenn es um Wert und Würde des Lebens geht, machen Christen keine Unterschiede, gleich, ob es sich - in der Sprache der Bibel gesprochen - um "Männer oder Frauen, Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie" (1 Kor 12,13) handelt. Christen treten für gelingendes Leben ein - gleich, ob es um Deutsche oder Ausländer, um Kinder oder Alte geht. Sie treten für das Leben ein, auch, wenn es um ungeborenes Leben geht. Erfülltes Leben, davon sind Christen überzeugt, hängt nicht davon ab, ob Menschen gesund oder krank oder behindert sind. Wir können nicht Christ oder Christin sein, ohne uns für die Menschenwürde der anderen einzusetzen.