In der "Vatileaks"-Affäre vor einem Monat wurde der Kammerdiener verhaftet

Der Gefangene im Vatikan

"Der Gefangene im Vatikan" - bislang wurde Papst Pius IX. so genannt; der weigerte sich 1870 nach dem Untergang des Kirchenstaates wegen eines Streits mit Italien, den Vatikan zu verlassen. Seit vier Wochen gibt es nun einen wirklichen Gefangenen in dem Zwergstaat.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

Am 26. Mai bestätigte das vatikanische Presseamt die Verhaftung des päpstlichen Kammerdieners Paolo Gabriele drei Tage zuvor. Es war die erste und bislang einzige Festnahme nach monatelangen Ermittlungen mit dem Ziel, "undichte Stellen" in der römischen Kurie aufzuspüren, die Medien mit vertraulichen Dokumenten munitionieren. Solche hatte die vatikanische Gendarmerie in Gabrieles Wohnung sichergestellt.



Rätsel gibt die Verhaftung des 46 Jahre alten Italieners jedoch auch weiterhin auf. Vor allem eins bleibt bislang unklar: Welches Motiv trieb den Mann, der Benedikt XVI. sechs Jahre lang so nahe stand wie nur wenige andere, zum Verrat? Den Mann, der dem Papst beim Ankleiden half, ihm die Mahlzeiten servierte und mit ihm täglich eine Messe feierte? War es Bestechung? Erpressung? Oder glaubte Gabriele tatsächlich, der Kirche einen Dienst zu erweisen?



Einzeltäter? Wohl kaum!

Um eine Klärung dieser Fragen bemüht sich gegenwärtig Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet. Der italienische Juraprofessor begann am 5. Juni mit den Vernehmungen des Beschuldigten. Was Gabriele bislang aussagte, ist nicht bekannt. Der Vatikan verweist auf das Prozessgeheimnis. Einer der zwei Anwälte Gabrieles teilte lediglich mit, sein Mandant sei zu einer umfassenden Zusammenarbeit mit der vatikanischen Justiz bereit. Erst wenn Bonnet zu dem Ergebnis kommt, dass der Verdacht auf "schweren Diebstahl" hinreichend begründet ist, würde ein öffentlicher Prozess vor dem vatikanischen Tribunal eröffnet. Gabriele droht dann eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren.



Dass der päpstliche Kammerdiener ein Einzeltäter war, daran glaubt so gut wie niemand. Und dafür spricht auch so gut wie nichts: Auch nach seiner Verhaftung riss die Veröffentlichung vertraulicher Unterlagen aus vatikanischen Gefilden in der italienischen Presse keineswegs ab. Zwei große Tageszeitungen publizierten jeweils weitere Dokumente. Zumindest eins von ihnen, der Brief eines Aufsichtsratsmitglieds der Vatikanbank IOR an Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, kann kaum aus Gabrieles Fundus stammen. Das Schreiben datiert vom 22. Mai dieses Jahres, dem Tag vor der Verhaftung des Kammerdieners. Wer jedoch Gabrieles Komplizen und Hintermänner sind, ob sich gar Bischöfe oder Kardinäle der römischen Kurie unter ihnen befinden, bleibt vorerst reine Spekulation. Die Ermittlungen erfolgten in "alle Richtungen", so der Vatikan.



Bei Verurteilung: Umzug in Gefängnis

Gabriele verbringt derweil seine Untersuchungshaft in einem ehemaligen Schulgebäude in Nachbarschaft der Redaktion des "Osservatore Romano", der Vatikanzeitung. Seine Zelle ist rund vier mal vier Meter groß. Ihre Ausstattung ist eher spartanisch: Bett, Tisch, Fenster und ein Kruzifix. Ein eigenes Bad ist vorhanden, ein Fernseher nicht. Der dreifache Vater erhält regelmäßig Besuch von seiner Familie, die nur einen Steinwurf entfernt wohnt. Laut Auskunft des Vatikan erhält er die "gleiche Pasta" wie die Gendarmen. Und auch für sein geistliches Wohl ist gesorgt: Gabriele besuchte bislang mehrmals Gottesdienste - ohne Handschellen, aber in Begleitung von Polizisten.



Wie lange er noch in der Arrestzelle bleiben muss, ist vorerst offen. Gegenwärtig prüft das vatikanische Tribunal einen Antrag seiner Anwälte auf Haftentlassung. Höchstens 100 Tage darf die Untersuchungshaft dauern, nach Beginn des eigentlichen Prozesses könnten allerdings weitere drei Jahre hinzukommen. So lange habe aber noch nie ein Prozess im Vatikan gedauert, ist im Vatikan zu hören. Würde Gabriele schließlich verurteilt, müsste er in ein italienisches Gefängnis umziehen.