Der Bundesfreiwilligendienst wird ein Jahr alt

Mehr Interessenten als Plätze

Arbeitslose Mittfünfziger im Nachbarschaftstreff statt Abiturienten im Altenheim: Der vor einem Jahr eingeführte Bundesfreiwillligendienst verändert das Gesicht der Freiwilligenarbeit in Deutschland. Das spüren vor allem die ostdeutschen Länder.

Autor/in:
Bettina Markmeyer
 (DR)

Ein paar Monate lang hatte es Gerangel gegeben zwischen den Koalitionspartnern in Berlin, dann stellte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) im November 2010 das Konzept für den neuen Bundesfreiwilligendienst (BFD) vor. Am 1. Juli 2011 sollte er starten und den Zivildienst ablösen. Eine Folge der Abschaffung der Wehrpflicht, der größten Reform der schwarz-gelben Bundesregierung.



Kaum jemand glaubte, dass die neu geschaffenen 35.000 Plätze im Bundesfreiwilligendienst vergeben werden würden. Die Bundesländer fürchteten eine Konkurrenz zu ihren Jugendfreiwilligendiensten, die Wohlfahrtsverbände unkten, es werde nicht genug Freiwillige geben, die Opposition schimpfte über das organisatorische Chaos. Doch die Zahlen stiegen schnell, von 921 im ersten Monat auf rund 28.000 Anfang 2012. Heute leisten 32.000 Bundesfreiwillige ihren Dienst, 9.000 Menschen haben ihn schon hinter sich.



Bis zur Einführung des BFD waren 90.000 Zivis im Einsatz, zuletzt nur noch ein halbes Jahr, was etwa 66.000 Einsatzstellen entsprach. Der Dienst hatte sich zu einer Stütze des Sozialstaats entwickelt. Die ersten Zivildienstleistenden im Jahr 1956 waren beschimpft, die letzten Weihnachten 2010 mit Wehmut verabschiedet worden.



Lückenfüller

Der Bundesfreiwilligendienst ist, anders als der Zivildienst, kein Pflichtdienst. Er ist offen für Männer und Frauen, für Junge und Alte. Die Gewerkschaft ver.di warnt, "Bufdis" würden zunehmend als Lückenfüller eingesetzt, besonders in der Pflege und Kinderbetreuung, wo Personal fehlt. Eine Studie hat erste Trends über die Zusammensetzung der Freiwilligen ermittelt. Danach ist das Auffälligste der hohe Anteil Älterer. Der klassische Zivi, der Abiturient im Altenheim, wird abgelöst vom neuen "Bufdi", dem arbeitslosen Mittfünfziger im Nachbarschaftstreff. In Ostdeutschland ist mehr als die Hälfte der Bundesfreiwilligen älter als 27 Jahre - bundesweit ist es jeder Dritte.



Die Älteren, so die Studie der Hertie School of Governance und des Centrums für soziale Investitionen und Innovationen der Universität Heidelberg, seien "Personen in Umbruchsituationen". Gemeint ist vor allem Arbeitslosigkeit. In Sachsen etwa machen die Jobcenter Hartz-IV-Empfänger gezielt auf den Bundesfreiwilligendienst aufmerksam, dort sind 74 Prozent der "Bufdis" älter als 27. Als alleinige Erklärung reicht Arbeitslosigkeit indes nicht aus: Im wirtschaftlich vergleichbaren Saarland machen die Älteren weniger als

15 Prozent aus.



Die jungen Leute strömen weiterhin ins Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr (FSJ/FÖJ). Drei Viertel der FSJler sind Frauen. Darin spiegelt sich noch die Vergangenheit wieder, in der Männer Zivildienst leisteten und Frauen ein freiwilliges Jahr. Im Bundesfreiwilligendienst ist der Anteil von Männern und Frauen gleich hoch.



35.000 BFD-Plätze finanziert der Staat in diesem Jahr. Im Frühjahr waren die Kontingente bei den großen Trägern ausgeschöpft. Zwanzig Prozent mehr Bewerber hätte man unterbringen können, heißt es beim Diakonischen Werk: "Die Plätze sind da, aber die Finanzierung nicht", sagt Rainer Hub vom Bundesverband. Erst Ende vergangener Woche hatte Familienministerin Schröder erneut erklärt, dass es mehr Geld in diesem Jahr nicht geben wird.



170 Millionen Euro sind eingeplant. Union und FDP hatten im Frühjahr bereits deutlich gemacht, dass es wegen der Haushaltslage dabei bleiben soll. Für die Zukunft wünschen sich Politik und Praxis indes dasselbe: Es soll mehr Plätze geben.