Das Missionsärztliche Institut in Würzburg feiert 90. Geburtstag

"Eine Insel unter Beschuss"

Das Missionsärztliche Institut (MI) in Würzburg wurde vor 90 Jahren gegründet, die dazugehörige Missionsärztliche Klinik vor 60 Jahren. Heute ist das MI die bundesweit einzige katholische Fachstelle für internationale Gesundheit. Der Vorsitzende des MI, der Tropenmediziner Professor August Stich spricht im Interview über veränderte Aufgaben und übt Kritik am Gesundheitssystem in Deutschland.

 (DR)

KNA: Herr Professor Stich, das Missionsärztliche Institut feiert Jubiläum. Sie tragen das Wort Mission in Ihrem Namen. Ist das noch aktuell?

Stich: Das Wort ist noch sehr aktuell. Jedes Unternehmen gibt sich mittlerweile ein "mission statement", also eine Zielsetzung. Mission im kirchlichen Sinn heißt ja nicht, dass wir ales besser wissen, sondern nur, dass wir nicht unter uns bleiben wollen. Wir ziehen uns nicht zurück. Wir gehen hinaus zu anderen Menschen. Die können vor der eigenen Haustür sein, im eigenen Krankenhaus, können Flüchtlinge in Bayern sein bis hin zu den Dörfern in Afrika und den Slums in Kapstadt.



KNA: Wie hat sich das Aufgabenspektrum des Instituts im Laufe der Jahre verändert?

Stich: Gegründet wurden wir 1922 zur Unterstützung der klassischen missionierenden katholischen Kirche, weil man gesehen hat, dass die Trias Schule, Krankenhaus, Kirche am besten trägt. Es geht eben auch um die körperliche Gesundung von Menschen. Generationen von Missionsärzten sind in alle Länder, von Afrika bis hin zur Mandschurei in China aufgebrochen. Heute haben wir mehr den Auftrag der Beratungs- und Lehrinstitution. Wir versuchen kirchliche Gesundheitsdienste zu beraten und Leute auszubilden...



KNA: ...wie sieht das konkret aus?

Stich: Die Aufträge kommen von den großen katholischen Werken wie Misereor oder Caritas. Wir haben aber auch eigene Projekte, etwa in Haiti. Fachkräfte reisen dann in die Länder und beraten, jeweils für wenige Wochen, woraus sich manchmal eine Begleitung von Projekten über einen längeren Zeitraum von vielen Jahren entwickeln kann.



KNA: Wie verändert sich die Rolle als Tropenmedizinische Fachstelle?

Stich: Die Tropenmedizin ist natürlich Teil der hiesigen Struktur der Gesundheitsversorgung, auf dem hohen Niveau Deutschlands mit entsprechendem Zugriff auf Labors und Geräte. Da spielt natürlich die Reisemedizin immer noch eine große Rolle. Neu dazu kam das ganze Feld der Migrantenmedizin. Wir wissen, dass Menschen aus anderen Ländern eine spezielle Form der medizinischen Betreuung brauchen, die weit über die Tropenmedizin in der klassischen Form hinausgeht. Außerdem haben wir Kompetenz im Bereich von Infektionskrankheiten generell, etwa HIV und Hepatitis. Wir bekommen da nicht nur Patienten aus tropischen Ländern, sondern auch sehr viele aus Deutschland.



KNA: Sie engagieren sich in der Migrantenmedizin vor Ort. Was hat dies mit dem Auftrag des Missionsärztlichen Instituts zu tun?

Stich: Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Asylbewerber und Flüchtlinge bekommen dieses Recht nur eingeschränkt zugestanden, vor allem in Bayern, in dem das Asylbewerberleistungsgesetz besonders eng ausgelegt wird. Das möchten wir verändern und haben uns bewusst diesem Thema zugewendet.



KNA: Aber das ist ja sicherlich ein Verlustgeschäft?

Stich: Ja, es ist das Gegenteil von wirtschaftlich. Dabei wird das immer mehr das Maß der Dinge in der Gesundheitsversorgung, wenn man gerade den geplanten Zusammenschluss von Großkliniken wie Fresenius und Rhön-Klinikum sieht. Deren eigentlicher Auftrag ist nicht mehr die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, sondern die Vermehrung der Dividende von Aktionären. Da pickt man sich dann nur die Rosinen raus, die Geld bringen; die schweren Probleme lässt man einfach liegen. Als Missionsärztliches Institut und Klinik können wir dem nur ganz bedingt entgegensteuern, aber wir können die Dinge beim Namen nennen.



KNA: Dann sind Sie eine Insel...

Stich: ... eine Insel unter Beschuss. Das ist gegen den Strom der Zeit. Aber aus dem christlichen Auftrag heraus und der Erfahrung von internationaler Gesundheit müssen wir sehr wohl andere Schwerpunkte anmahnen. Wir können das im Dialog immer wieder vorbringen: Es gibt nicht nur den erhöhten Cholesterin-Spiegel, sondern es gibt eben auch Armut und Krankheiten in anderen Ländern der Welt. Aber auch unser eigenes Gesundheitssystem gerät in eine Schieflage. Wir brauchen dazu eine breite gesellschaftliche Diskussion. Auch das ist eine Art von Mission.



Das Interview führte Christian Wölfel.



Hintergrund

Das Missionsärztliche Institut Würzburg ist eine Organisation christlicher Gesundheitsfachkräfte, die sich für eine ganzheitliche und nachhaltige Gesundheitsarbeit in der Einen Welt engagieren. Die Verbesserung von Gesundheitsbedingungen insbesondere benachteiligter Menschen und Bevölkerungsgruppen ist dabei ein übergeordnetes Ziel. Nächstenliebe und Fachkompetenz sind die Basis der Gesundheitsarbeit. Dabei kooperiert das Institut mit Partnern kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit, kirchlich getragener Gesundheitsdienste in Ländern des Südens und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Darüber hinaus kooperiert das Missionsärztliche Institut mit verschiedenen Institutionen der deutschen bilateralen und der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit.



Das Missionsärztliche Institut ist die einzige Katholische Fachstelle für Internationale Gesundheit in Deutschland und seit 1922 weltweit aktiv. Zugleich ist das Institut Mitträger der Missionsärztlichen Klinik GmbH in Würzburg, einem akademischen Lehr- und Ausbildungskrankenhaus der Universität Würzburg.