Friedhelm Hengsbach im Portrait

Streiter für soziale Gerechtigkeit

Die Aussicht ist sehr abwechslungsreich: Im Osten und Süden die Rheinbrücken nach Mannheim, im Norden die Industrieanlagen der BASF, im Westen die Ausläufer des Pfälzer Walds. "So komfortabel wie hier", sagt Friedhelm Hengsbach, "habe ich noch nie gewohnt". Hier, das ist die oberste Etage des Ludwigshafener Heinrich-Pesch-Hauses, eines katholischen Bildungszentrums im Bistum Speyer. Dort lebt der Wirtschaftswissenschaftler, der am Sonntag 75 wird, in einer Kommunität mit drei anderen Jesuiten, "eine Art Männer-WG".

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Sein Arbeitsstil ist nach eigenem Bekunden nicht viel anders als in Frankfurt Sankt Georgen, wo der Ordensmann von 1985 bis zur Emeritierung 2005 Christliche Sozialwissenschaft sowie Wirtschafts- und Gesellschaftsethik lehrte und eineinhalb Jahrzehnte das nach dem Nestor der katholischen Soziallehre benannte Oswald-von-Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik leitete. Immer noch ist Hengsbach viel unterwegs und gefragt, er publiziert, hält Vorträge, gibt Interviews.



Dabei streitet Hengsbach wie seit Jahrzehnten für soziale Gerechtigkeit. Intensiv befasst er sich derzeit mit den Finanzmärkten, "deren spekulative Attacken sich auf Devisen-, Nahrungsmittel- und Anleihemärkten austoben". Als Kern der Krise sieht er den "Krieg zwischen privater Kapitalmacht und demokratisch legitimierten Staaten". Für Hengsbach der Konflikt zwischen Privatinteressen und dem öffentlichen Interesse. Die Digitalisierung der Finanzmärkte sorge "für einen zusätzlichen Beschleunigungsschub". Es gehe um Quartalsberichte und Jahresgewinne, nicht um Nachhaltigkeit.



Innerkirchliche Debatten

Das langjährige Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac geht nicht nur scharf mit der Sozialpolitik von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen ins Gericht, Hengsbach mischt sich auch immer wieder in innerkirchliche Debatten ein: Denn jeder Christ werde unglaubwürdig, wenn er sich in der Welt für Gerechtigkeit engagiere, aber "im eigenen Laden ein Sumpf ungerechter Verhältnisse ausbreitet".

Deshalb will er Reformen der Kirche "an Haupt und Gliedern": eine bessere Stellung der Frau, eine andere Sexualmoral, die Abschaffung des Pflichtzölibats, die Beteiligung aller Christen an der Bestellung von Pfarrern, Bischöfen und Päpsten, die nach seiner Vorstellung ihre Ämter auch nur befristet ausüben sollen.



Hengsbach möchte zudem die Kirchensteuer abschaffen und verlangt, dass sich die Kirchen als Arbeitgeber ins allgemeine Arbeitsrecht einpassen. Der Jesuit weiß, dass er sich mit seinen Positionen nicht überall Freunde macht. Er geht so weit, der Institution Kirche zu bescheinigen, sie sei "von Strukturen der Sünde befallen". Hengsbach, der nach dem Abitur dem Orden beitrat und in München, im westfälischen Büren, in Sankt Georgen und Bochum studierte, sieht sich in seinem politischen Einsatz "in der Nachfolge von Nell-Breuning, nach dem Engagement im Glauben mit sozialem Engagement einhergeht. Das eine ist Ausdruck des anderen."



Seine Positionen vertritt der gebürtige Dortmunder, dessen Herz eher für Schalke 04 schlägt, wissenschaftlich-nüchtern. Auch wenn er seiner Kirche bescheinigt, sie könne "nicht von sich behaupten, die Sache Gottes sichtbar zu machen". Sieht sich Hengsbach selbst als Rebell? Nein, versichert er und wirkt zuversichtlich: Zahlreiche Katholiken teilten seine Meinung. Vieles geschehe noch unter der Decke, vielleicht beginne aber gerade ein Wandel. Auch diese Aussicht gefällt ihm.