Der Burgherr von Hornberg über einen berühmten Vorbesitzer

Der doppelte Götz

Hoch über dem Neckar liegt die Burg Hornberg, auf der Götz von Berlichingen vor 450 Jahren seinen letzten Atemzug tat. Der berühmte Ritter "mit der eisernen Hand" beflügelt noch immer die Fantasie der Menschen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der aktuelle Burgherr Dajo von Gemmingen-Hornberg über Lust und Last mit der prominenten Immobilie - und natürlich über den Geist von Götz.

 (DR)

KNA: Herr von Gemmingen-Hornberg, 450 Jahre nach seinem Tod ist Götz von Berlichingen immer noch in aller Munde – warum?

von Gemmingen-Hornberg: Das liegt sicherlich zuallererst einmal an seinem berühmten Spruch...

KNA: ... der etwas mit dem Allerwertesten zu tun hat.

von Gemmingen-Hornberg: In seinen Memoiren, die er als fast blinder Mann zum Ende seines Lebens diktierte, berichtet er von einem Streit mit einem Amtmann. Dem Kontrahenten habe er schließlich zugerufen, dieser möge ihn "hinden lecken". Der Spruch ist in seinen diversen Varianten in rund 80 Sprachen übersetzt worden. Das macht Götz von Berlichingen zum vermutlich meistzitierten Menschen der Welt.

KNA: Aber der Mann hatte auch seine dunklen Seiten. "Nun war ich noch des Sinnes die Landesgegend ein Weilchen unsicher zu machen" - mit solchen Sätzen beginnen seine Erinnerungen an diverse Raubzüge und Fehden. Sicher kein feiner Zug...

von Gemmingen-Hornberg: Trotzdem bleibt die Figur in den Augen Vieler positiv besetzt. Sein ungestümes Auftreten hat auch etwas Befreiendes. Und dann ist da noch die Sache mit der eisernen Hand.

KNA: Ein Schuss aus einer Kanone zerfetzte dem damals 24-Jährigen seine rechten Hand.

von Gemmingen-Hornberg: Götz ließ sich davon nicht unterkriegen, sondern zog wenig später mit einer eigens angefertigten Prothese von Neuem los. Jeder darf mal hinfallen, sollte dann aber auch wieder
aufstehen: Ich glaube, diese Botschaft bewegt die Menschen nach wie vor – fernab der tatsächlichen Ereignisse.

KNA: Auch Johann Wolfgang von Goethe pflegte in seinem Theaterstück über den Ritter einen recht freien Umgang mit den historischen Fakten.

von Gemmingen-Hornberg: Ja, aber das Stück machte Götz Ende des 18. Jahrhunderts erst so richtig populär. Doch der literarische und der historische von Berlichingen sind zwei völlig gegensätzliche Figuren – bis hin zu der Tatsache, dass Goethe seinen Götz Jahrzehnte früher sterben lässt, als das in der Wirklichkeit der Fall war. Aber das wissen viele Leute gar nicht. Und so verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit miteinander.

KNA: In Wirklichkeit erwarb Götz von Berlichingen 1517 die Burg Hornberg, auf der er als Greis "uber etlich und achtzig jahr alt" starb - inwiefern trägt das zur Faszination des Ortes bei?

von Gemmingen-Hornberg: Der Geist von Götz schwebt schon in diesen Mauern hier. Aber Hornberg ist davon abgesehen auch die größte Burganlage im Neckartal, die noch dazu über eine lange Weinbautradition zurückblickt. Als mein Vorfahr Reinhard von Gemmingen 1612, also vor genau 400 Jahren, das Areal hier erwarb, spielte die Burg schon keine besondere Rolle mehr. Viel interessanter waren die Weinberge in sonnenbeschienener Steillage mit neun Kilometer handgeschichteten Steinmauern. Das war und ist schon etwas ganz Besonderes.

KNA: Welche Rolle spielt der Weinbau heute für Sie?

von Gemmingen-Hornberg: Ich bin mittlerweile soweit, dass er keine Verluste mehr einfährt. Man kann in dem Bereich schlecht kalkulieren. 2009 hatten wir mit 30.000 Litern eine gute Ernte und Wein in einem ungefähren Wert von 200.000 Euro. Im Jahr darauf lag die Ernte bei 6.000 Liter – und der Wert des Weins betrug nur 40.000 Euro.

KNA: Damit dürfte sich der Erhalt der Burganlage schwerlich stemmen lassen.

von Gemmingen-Hornberg: Leben muss ich von anderen Dingen. Manche Burgbesitzer sagen ja, sie hätten einen Goldesel. Andere klagen über ein Millionengrab. Ich habe beides. Die Oberburg, in der Götz einst lebte, ist ständig vom Verfall bedroht. Da bricht immer irgendwo ein Stück Mauer weg. Ab August wollen wir deswegen eine umfangreiche Renovierung starten. Insgesamt sind rund 60 einzelne Bauvorhaben für
1,7 Millionen Euro geplant. Dann ist hoffentlich mal für zwei Generationen Ruhe.

KNA: Wer finanziert das?

von Gemmingen-Hornberg: Zuschüsse kommen über die öffentliche Hand und aus Stiftungen. Aber einen Teil der Kosten muss ich selbst tragen. Das liegt dann durchaus in der Größenordnung eines Einfamilienhauses – für eine Ruine.

KNA: Soviel zum Millionengrab. Und was ist mit dem Goldesel?

von Gemmingen-Hornberg: Das ist die Unterburg, in der wir wohnen - übrigens das größte Wohngebäude aus der Stauferzeit nördlich der Alpen. "Nutzt nichts, schadet auch nichts", stand sinngemäß in den Unterlagen über die Verkaufsverhandlungen von 1612. Aber obwohl meine Familie dort erst in den 1930er Jahren eingezogen ist, blieb die Bausubstanz über die Jahrhunderte erstaunlich intakt. Das Raumklima ist angenehm, selbst im Winter muss man selten heizen.

KNA: Trotzdem: Nie mal daran gedacht, die Burg aufzugeben?

von Gemmingen-Hornberg: Nein. Es ist vielleicht manchmal eine Last, soviel Verantwortung zu haben. Aber sie ist jetzt so lange in der Familie. Da gibt man sie nicht so einfach her.

Das Interview führte Joachim Heinz.

Hintergrund

Potztausend! Vor rund 500 Jahren war es um Teile des deutschen Adels wahrlich nicht zum Besten bestellt. Für manchen jungen Standesgenossen, so klagte Graf Reinhard zu Solms, gebe es nichts anderes, "denn bis in den hohen mittag schlafen, die andere hälfte des tages müßig schlink-schlanken und mit dem frauenzimmer alfanzen oder mit den hunden spielen und die halbe nacht darauf saufen".  Garstige Vorwürfe - hinter denen sich ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel versteckte.

Götz von Berlichingen ist eine der Gestalten, in denen dieser Wandel fassbar wird. Vor 450 Jahren, am 23. Juli 1562 "umb 6 uhr abends", verstarb der Ritter "mit der Eisern Hand" auf seiner Burg Hornberg - im gesegneten Alter von 82 Lenzen. Zu seinen Lebzeiten landete Kolumbus in Amerika, feierte das Universalgenie Leonardo da Vinci Triumphe in Italien, formulierte der Reformator Martin Luther seine 95 Thesen. Was konnte da noch übrigbleiben für die einst so stolzen Ritter, jene panzerbewehrten Überbleibsel aus dem Mittelalter?

Ihre Stelle als Krieger übernahmen anspruchslosere Söldner, ihre Posten als fürstliche Ratgeber die gelehrteren "Doctores" aus den Universitäten, ihre Unabhängigkeit vor Ort untergruben Hochadel und aufstrebende Städte. Wer konnte, wartete auf bessere Zeiten und gab sich dem Müßiggang hin. Wer kalkulierte, stellte sich unter die Herrschaft eines Mächtigeren. Und wer pokerte, kämpfte mit Klauen und Zähnen um seine althergebrachten Freiheiten. So wie Götz, der allerdings bei vielen seiner Aktionen mit durchaus kühlem Kopf zuwege ging.

In seiner "Lebens-Beschreibung" liest sich das freilich nicht immer so. Da inszeniert sich der ehrenfeste "Reichs-Cavalier" als Heißsporn, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Mit Mitte 20 hatte er seinen Ruf als verwegener "Heckenreiter" weg - mit der eisernen Hand als unverwechselbarem Markenzeichen. Bei der Belagerung der Stadt Landshut hatte ihm 1504 ein Kanonenschuss die rechte Hand zertrümmert. Seither behalf er sich mit der wohl berühmtesten Prothese der Orthopädie-Geschichte.

Bei Lichte besehen führte von Berlichingen nichts anderes als ein höchst einträgliches räuberisches Inkasso-Kommando, dessen Einflussbereich sich weit über Schwaben und Franken hinaus erstreckte. Peinlich genau achtete Götz allerdings darauf, diese "That-Handlungen" als ritterliche Fehden im Auftrag Dritter zu deklarieren. So oder so: Mit seinen Überfällen auf Dörfer, Burgen und vor allem reiche Kaufleute säten er und seine bis zu 200 Begleiter Angst und Schrecken und scheffelten jede Menge Geld.

Immer wieder waren adelige Standesgenossen mit von der Partie. Als sich die durch ständige Attacken von Götz und einem seiner Mitstreiter, dem einbeinigen Hans von Selbitz, entnervten Nürnberger hilfesuchend an Kaiser Maximilian I. wandten, soll dieser ausgerufen
haben: "Heiliger Gott, heiliger Gott! was ist das? der ein hat ein Hand, so hat der ander ein Bein, wann sie dann erst zwo Händ hätten und zwei Bein, wie wolt ihr dann thun?"

Des Ritters Stern begann ausgerechnet zu jener Zeit zu sinken, als er sich 1517 mit dem Kauf von Burg Hornberg, etwa 45 Kilometer östlich von Heidelberg, ein festes Domizil erwarb. Im Krieg zwischen dem Schwäbischen Bund und Ulrich von Württemberg stand er aufseiten des Herzogs und kassierte 1519 eine empfindliche Niederlage. Noch einmal trat er 1525 als Hauptmann im Bauernkrieg in Erscheinung. Ob aus Zwang, machttaktischen Erwägungen oder ehrlichem Interesse an einem Ausgleich, ist bis heute umstritten.

Seine letzten 30 Jahre verbrachte der weiterhin streitbare von Berlichingen prozessierend und seine Memoiren diktierend auf Burg Hornberg. Sein berühmtes Zitat "Er kann mich am Arsche lecken!" verewigte Johann Wolfgang von Goethe 1773 in seinem Drama "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand". Dieses Zitat liest sich in den an deftigen Details reichen Erinnerungen der "alten Eisenhose" übrigens erstaunlich zahm: "Er solte mich hinden lecken!", lautete dort die gleichwohl eindeutige Ansage.