In den USA soll ein geistig Behinderter hingerichtet werden

"Ungerecht und diskriminierend"

Der 52-Jährige Warren Lee Hill soll im Bundesstaat Georgia durch eine Giftspritze sterben. Hill hat einen Intelligenzquotienten von 70 und gilt damit als geistig behindert. Für solche Personen verbiet die US-Verfassung eigentich die Todesstrafe. Hill war 1990 zum Tod verurteilt worden, weil er im Gefängnis einen Mithäftling erschlagen hatte. Amnesty International spricht sich gegen die Hinrichtung aus. Im domradio.de-Interview erläutert Maja Liebing, Amerika-Expertin von AI, die Gründe und den besonderen Fall.

 (DR)

domradio.de: Zwei Morde sind keine Bagatelldelikte - aber trotzdem scheint es für uns in Deutschland hart, dafür die Todesstrafe anzusetzen. In welchen Fällen entscheidet die amerikanische Justiz so?--
Maja Liebing: Die Verhängung der Todesstrafe ist in den USA hauptsächlich Sache der Bundesstaaten. Die Bundesstaaten haben da unterschiedliche Gesetzgebungen, es gibt ja auch amerikanische Bundesstaaten, die die Todesstrafe gar nicht mehr vorsehen. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass die Todesstrafe für die allerschwersten Delikte und Straftaten vorgesehen ist. Aber die Tatsache, dass das in den Bundesstaaten äußerst unterschiedlich gehandhabt wird, ist für uns auch ein weiteres Zeichen dafür, dass die Todesstrafe eben ungerecht und diskriminierend ist und deshalb abgeschafft gehört.  



domradio.de: Dieser Fall des Warren Hill hat eine Besonderheit - nämlich, dass man sich nicht einig ist, ob der 52-Jährige nun geistig behindert ist oder nicht. Was würde sich denn ändern, wenn die amerikanische Justiz tatsächlich anerkennen würde, dass er geistig behindert ist?--
Liebing: Die Hinrichtung von geistig Behinderten ist in den USA verboten. Das heißt, wenn Warren Hill als geistig behindert eingestuft würde, dürfte er nicht hingerichtet werden. Das ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 2002, das ist für alle Bundesstaaten gültig, das heißt, nirgends darf in den USA jemand hingerichtet werden, der geistig behindert ist. Und es ist sogar so, dass in Georgia, dem Bundesstaat, in dem Warren Hill inhaftiert ist, die Hinrichtung von geistig Behinderten schon seit 1988 verboten ist. Das Problem ist nun, dass der Oberste Gerichtshof der USA zwar die Hinrichtung von geistig Behinderten verboten hat, aber keine Definition vorgegeben hat, was eigentlich eine geistige Behinderung darstellt. Das ist immer noch Sache der Bundesstaaten. Und in Georgia haben wir einen deutlich höheren Standard als in allen anderen Bundesstaaten, das heißt, dass es in Georgia deutlich schwieriger ist zu beweisen, dass jemand geistig behindert ist, als in allen anderen US-Bundesstaaten. Das bedeutet, dass in Georgia auch Menschen hingerichtet werden, die in anderen Bundesstaaten nicht hingerichtet werden dürften. Und das ist auch im Fall von Warren Hill so.



domradio.de: Der Fall von Warren Hill ist nicht der einzige dieser Art in den USA. Wie sieht es in den anderen Fällen aus? Bei Warren Hill ist es ja doch relativ umstritten, da geht man von einem Intelligenzquotienten von knapp 70 aus. Gibt es denn noch eindeutigere Fälle der geistigen Behinderung in Verbindung mit der Todesstrafe? --
Liebing: Wir haben momentan in mehreren US-Bundesstaaten solch umstrittene Fälle. In Ohio z.B. hatten wir gerade erst am 10. Juni den Fall, dass der Gouverneur von Ohio die Todesstrafe von John Eley in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt hat, weil ein Experte John Eley eben als geistig behindert eingestuft hat, was seine Hinrichtung verfassungswidrig gemacht hätte. U.a. haben sich in seinem Fall auch der Richter und der Staatsanwalt, die damals an seiner Verurteilung zum Tode beteiligt waren, für die Umwandlung des Urteils eingesetzt, weil eben erst nach der Verurteilung zum Tode Hinweise darauf ans Licht gekommen sind, dass er wirklich geistig behindert ist. Einen weniger gut verlaufenen Fall gab es in Texas: Da ist gerade erst letzten Mittwoch Yokamon Hearn hingerichtet worden. In seinem Fall war der Grad der geistigen Behinderung sehr umstritten, und sein Gnadengesuch wurde letztendlich abgelehnt, er wurde hingerichtet. Und das war eben auch so ein umstrittener Fall, weil er schon im Mutterleib Alkoholschädigungen ausgesetzt gewesen war und ganz klar sehr, sehr große Probleme hatte. Es gab Experten, die der Meinung waren, er sei geistig behindert. Dazu kam dann noch die Tatsache, dass er zum Tatzeitpunkt noch sehr jung war, er war 19 Jahre alt; wenn er noch jünger, also minderjährig gewesen wäre, hätte er auch nach US-Recht gar nicht zum Tode verurteilt werden dürfen. Diese geistige Behinderung und seine junges Alter haben dazu geführt, dass viele Experten gesagt haben, er dürfte nach dem Standard der geistigen Behinderung nicht hingerichtet werden.



domradio.de: Viele US-Bundesstaaten halten trotz internationaler Proteste an der Todesstrafe fest. Ist das nach wie vor auch in der Bevölkerung so unumstritten, wenn jetzt von Fällen berichtet wird, in denen geistig Behinderte hingerichtet wurden?--
Liebing: Grundsätzlich kann man feststellen, dass auch in den USA die Todesstrafe auf dem Rückzug ist. Einmal ist es so, dass ein immer größerer Prozentsatz der Bevölkerung die Todesstrafe tatsächlich ablehnt. Und es ist so, dass in den USA ein Großteil der Todesurteile nach dem Recht der Bundesstaaten verhängt wird, d.h. die Bundesstaaten können für sich selbst entscheiden, ob sie nach wie vor die Todesstrafe anwenden wollen oder nicht. Inzwischen schaffen immer mehr Bundesstaaten die Todesstrafe ab, zuletzt Oregon 2011.



Das Interview führte Christian Schlegel.