Kardinal Koch zu 50 Jahren Vatikanisches Konzil und zur Ökumene

"Wir brauchen eine Neuausrichtung"

Am 11. Oktober jährt sich zum 50. Mal die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), 2017 begehen Lutheraner das Reformationsjubiläum. Mit Blick auf diese Ereignisse äußert sich Kurienkardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom zur Bedeutung des Konzils, zur Ökumene und zu den Traditionalisten.

Erzbischof Kurt Kardinal Koch (KNA)
Erzbischof Kurt Kardinal Koch / ( KNA )

KNA: Herr Kardinal, 2017 steht das Gedenken an die Reformation Martin Luthers vor 500 Jahren bevor. Wie geht der Päpstliche Einheitsrat darauf ein?

Koch: Mit unserem Partner, dem Lutherischen Weltbund, bereiten wir derzeit ein gemeinsames Wort zum Reformationsgedenken vor. Wir müssen überlegen, was wir gemeinsam zu diesem Anlass sagen können. Dann wird es gewiss auch regionale Initiativen geben - für die natürlich in erster Linie die jeweiligen Bischofskonferenzen zuständig sind.



KNA: Sind Sie mit dem Text an einem guten Punkt?

Koch: Ich hoffe, dass es auf beiden Seiten gut verantwortet werden kann.



KNA: Wird es eine gemeinsame Veranstaltung auf Weltebene geben?

Koch: Das steht bislang noch nicht fest.



KNA: Am 11. Oktober jährt sich zum 50. Mal die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie wird der Vatikan auf dieses Jubiläum eingehen?

Koch: Der Papst hat bereits angekündigt, dass mit diesem Tag ein "Jahr des Glaubens" beginnen soll. Eine solche Initiative hatte bereits Papst Paul VI. nach dem Konzil unternommen, aus der Überzeugung heraus, dass das Konzil richtig rezipiert werden muss.



KNA: Um die Deutung des Konzils wird weiterhin gerungen. Viele berufen sich, mit unterschiedlicher Intention, auf das Konzil. Wurde und wird das Konzil richtig interpretiert?

Koch: Benedikt XVI. hat die wesentlichen Fragen in seiner ersten großen Weihnachtsansprache an die römische Kurie am 22. Dezember

2005 benannt und dabei auf zwei grundverschiedene Hermeneutiken verwiesen: Die Hermeneutik der Diskontinuität oder des Bruches - mit dem Vatikanischen Konzil sei gleichsam eine neue Kirche entstanden, die mit der Kirche vor dem Konzil nicht mehr viel zu tun habe - und eine Hermeneutik der Reform. Dabei geht es nicht, wie dem Papst gerne unterstellt wird, um eine Hermeneutik der reinen Kontinuität.



Eine solche vertreten die Traditionalisten. Vielmehr sieht der Papst eine Verbindung von Erneuerung und Kontinuität in dem Sinne, dass das Konzil eine Erneuerung der Kirche gewollt und gebracht hat, aber nicht eine neue Kirche. Auf dieser Linie muss noch sehr viel getan werden. Wir brauchen eine Neuausrichtung.



KNA: Die traditionalistischen Piusbrüder sehen einen unterschiedlichen Grad an Verbindlichkeit der Konzilsaussagen. Was sagen Sie dazu?

Koch: Das ist eine vielschichtige Frage. Das Zweite Vatikanum hat vier große Konstitutionen erlassen, zudem neun Dekrete und drei Erklärungen. Rein formal kann man natürlich einen Unterschied zwischen diesen drei Gattungen machen. Allerdings stellt sich dann insofern ein Problem, als das Konzil von Trient (1545-1563) nur Dekrete erlassen hat und keine Konstitutionen. Und man wird hier sicher nicht von einem Konzil minderen Grades reden wollen. Also: Rein formal kann man Unterschiede finden, aber man kann kaum Unterschiede in der Verbindlichkeit in inhaltlicher Hinsicht machen.



Das Ökumenismus-Dekret beispielsweise hat seine dogmatischen Grundlagen in der Kirchen-Konstitution. Papst Paul VI. hat bei der Promulgation dieses Dekrets stark betont, dass es die Kirchen-Konstitution auslegt und erklärt.



KNA: Heißt das im Blick auf eine mögliche Einigung mit den Piusbrüdern, dass diese das gesamte Konzil akzeptieren müssen? Oder können Sie sich Abstriche, einen Rabatt vorstellen?

Koch: Die Grundschwierigkeit dürfte darin bestehen, dass die Piusbrüder offensichtlich davon ausgehen, dass das Zweite Vatikanische Konzil Fehler begangen hat. Dass Konzile auch irren können, ist allerdings eine Behauptung, die auf Martin Luther zurückgeht. Von daher müssen sich die Traditionalisten schon fragen, wo sie denn eigentlich stehen.



KNA: Was bedeutet das Konzil für die Ökumene und für die Beziehungen zum Judentum? War es ein Neuanfang, eine Wende?

Koch: Papst Johannes XXIII. war davon überzeugt, dass das von ihm einberufene Konzil zwei Anliegen verfolgen muss, die Erneuerung der katholischen Kirche und die Wiederherstellung der Einheit der Christen. Das war gleichsam der Fokus des ganzen Konzils. Papst Paul VI. hat in der Eröffnungsrede bei der zweiten Session 1963 ebenfalls bestätigt, dass das eigentliche Drama, dessentwegen das Konzil einberufen wurde, die Wiederherstellung der Einheit der Christen sei. Insofern ist die Ökumene nicht ein Nebenthema oder - wie Johannes Paul II. einmal sagte - irgendein Anhängsel, sondern ein zentrales Thema des Konzils. Deshalb muss es ein zentrales Thema der Kirche heute sein. Im Übrigen hat auch die Konzils-Erklärung "Nostra Aetate" mit den Äußerungen zum Judentum ihre dogmatischen Grundlagen in der Kirchen-Konstitution.



KNA: Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hat soeben gegenüber Italiens Regierungschef Mario Monti gesagt, die Beziehungen zwischen russischer Orthodoxie und römisch-katholischer Kirche hätten sich deutlich verbessert. Wie sehen Sie das?

Koch: Es freut mich sehr zu hören, dass es in Moskau auch so gesehen wird. Ich möchte dies unsererseits gerne bestätigen. Mein Besuch beim Patriarchen im vergangenen Jahr war sehr positiv, sehr freundlich. Zudem gab es hier verschiedene Initiativen von Metropolit Hilarion, etwa ein Konzert zu Ehren des Heiligen Vaters. Das alles sind Zeichen einer positiven Entwicklung. Ich hoffe, dass es gute Schritte sind, die einmal zu einer Begegnung zwischen dem Papst und dem Patriarchen führen können.



KNA: Sehen Sie das für eine nähere Zukunft?

Koch: Moskau hat mir klar signalisiert, dass man noch nicht über Daten reden möchte.



Das Interview führte Johannes Schidelko.