KNA: Herr Professor Khorchide, eigentlich will ich mit Ihnen über den islamischen Religionsunterricht und den Lehrplan dafür reden. Aber vorweg eine andere Frage. Deutschland diskutiert über die Beschneidung. In welchem Alter sind Sie beschnitten worden?
Khorchide: Das war mit zwei Wochen im Krankenhaus in Beirut. Auch mein Sohn wurde wenige Tage nach der Geburt in Wien beschnitten.
KNA: Hat es ihm wehgetan?
Khorchide: Der Eingriff geschah selbstverständlich unter Betäubung. In den Folgetagen hat er beim Geschäftchen ein wenig sein Gesicht verzogen.
KNA: Also keine Körperverletzung?
Khorchide: Nein, Kinder tragen keinen Schaden davon. Wenn der Eingriff in den ersten Lebenstagen passiert, hat man außerdem daran später keine Erinnerung mehr.
KNA: In der Türkei finden Beschneidungen erst viel später statt, etwa im Alter von sechs Jahren...
Khorchide: Khorchide: Und das passiert sogar im Rahmen eines Beschneidungsfestes. Das ist aber eine archaische Tradition, die mit dem Islam nichts zu tun hat. Eine Beschneidung mit sechs oder sieben Jahren belastet ein Kind, sie sollte deshalb bald nach der Geburt erfolgen. Überhaupt ist im Islam die Beschneidung kein Muss - im Gegensatz zum Judentum, wo sie konstitutiv dazu gehört.
KNA: Kein Muss? Warum werden Muslime beschnitten?
Khorchide: Das hat in erster Linie hygienische Gründe. Deshalb würde ich bei der Beschneidung genauso wenig von Körperverletzung sprechen wie bei der Durchtrennung der Nabelschnur. Im Übrigen: Wenn Beschneidungen in Deutschland verboten werden, droht die Gefahr, dass dies in Hinterzimmern unter unhygienischen Bedingungen geschieht. Das kann keiner wollen.
KNA: Wird das Thema Beschneidung vom Beirat in den Lehrplan zum islamischen Religionsunterricht aufgenommen?
Khorchide: Der Beirat selbst erstellt nicht den Lehrplan. Das macht seit Ende Februar eine Lehrplan-Kommission mit praxiserfahrenen Lehrkräften. Sie arbeitet vertraulich und will im Herbst Ergebnisse vorlegen. Erst dann kann der Beirat den Vorschlag begutachten und nur aufgrund religiöser Gründe ein Veto einlegen. Aber natürlich sollte in den oberen Klassen das Thema Beschneidung im Unterricht behandelt werden - gerade auch, um den Unterschied zur Frauenbeschneidung herauszustellen.
KNA: Viele Kritiker machen da keinen Unterschied.
Khorchide: Die vor allem in Westafrika praktizierte Beschneidung von Frauen ist eine Körperverstümmelung, unter der die Frauen lebenslang leiden. Das ist bei der Beschneidung von Jungen ganz anders.
KNA: Zurück zum Lehrplan: An welchem Punkt ist Streit zu erwarten?
Khorchide: Zum einen gibt es unterschiedliche Erwartungen. Die Politik wünscht, dass der Religionsunterricht zur Integration beiträgt. Die muslimischen Verbände wollen einen identitätsstiftenden Unterricht. Die Herausforderung ist, die Mitte zu treffen und einen authentischen, reflektierten Religionsunterricht anzubieten.
KNA: Und wie?
Khorchide: Der islamische Religionsunterricht sollte schülerorientiert sein. Eine Beispiel: Statt den Kindern und Jugendlichen das Gebet als reine Pflichterfüllung zu vermitteln und die Religion als Sammlung von Geboten und Verboten, sollten theologische Inhalte mit der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler verbunden werden.
KNA: Glauben Sie, dass die islamischen Verbände da mitmachen?
Khorchide: Ich denke schon. Sie machen jetzt eine Entwicklung durch. Dazu beigetragen hat auch, dass sie über den Beirat mit ins Boot geholt worden sind.
KNA: Die evangelische und katholische Kirche bestehen jeweils auf ihren eigenen Religionsunterricht. Muss es eine solche konfessionelle Differenzierung nicht auch für den Islam geben?
Khorchide: Der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten war und ist nach wie vor hauptsächlich politisch begründet, kaum theologisch. Beide Gruppen haben die gleichen Gebete und Riten, die Unterschiede in der Lehre sind minimal. Deshalb würde ich hier auch nicht von zwei Konfessionen sprechen. Ich plädiere ganz entschieden für einen gemeinsamen Unterricht, der zur Verständigung beider Seiten beiträgt.
KNA: Und was ist mit den Aleviten?
Khorchide: Hier gibt es in der Tat gravierende dogmatische Differenzen. Sie beten und fasten anders, sie praktizieren ganz eigene Rituale. Nordrhein-Westfalen hat das anerkannt und bietet einen eigenständigen alevitischen Religionsunterricht an.
KNA: Der Lehrplan soll erst im Herbst fertig sein. Woran orientieren sich die Lehrer im nächste Woche beginnenden islamischen Religionsunterricht?
Khorchide: Basis kann zunächst einmal der Lehrplan der bisherigen Islamkunde sein. Die Themen für den Unterricht an der Grundschule sind überschaubar. Bei der bekenntnisorientierten Ausgestaltung des Faches wird lediglich der normative Anspruch etwas stärker betont.
Das Gespräch führte Andreas Otto.
Religionspädagoge über neuen Islamunterricht in NRW
"Nicht nur über Gebote und Verbote sprechen"
Nordrhein-Westfalen startet als erstes Bundesland im neuen Schuljahr den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht. Die Lehrinhalte soll ein Beirat festlegen, dem auch der muslimische Münsteraner Religionspädagoge Mouhanad Khorchide angehört. Ein Gespräch.
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