Republikaner müssen über Abtreibung statt über Jobs debattieren

Plötzlicher Themenwechsel im US-Wahlkampf

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney wollte einen Wahlkampf führen, in dem es vor allem um Wirtschaft und Finanzen gehen sollte. Auf diesen Feldern wirkte Amtsinhaber Barack Obama angreifbar. Doch jetzt ist alles ganz anders gekommen. Das Thema Abtreibung steht im Brennpunkt der politischen Diskussion Amerikas.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

Ausgelöst durch einen sprachlichen Fehltritt

Und es sieht momentan nicht so aus, als würde der Partei bis zum Beginn ihres Wahlkongresses am Montag in Tampa ein Wechsel der Agenda gelingen. Ausgelöst hat dieses politische Erdbeben der Kongressabgeordnete Todd Akin. Er kämpft in seinem Heimatstaat Missouri als Kandidat der konservativen "Tea Party" gegen die in Umfragen schwächelnde demokratische Senatorin Claire McCaskill um deren Sitz im Senat. Akin hatte in einem Interview in seiner strikten Ablehnung jedweder Abtreibung auch Vergewaltigungsopfer eingeschlossen - und sich einen sprachlichen Fehltritt geleistet, als er von "legitimer Vergewaltigung" sprach.



Akin war nicht auf den von ihm, Ryan und anderen Republikanern in einem Gesetzentwurf eingebrachten Begriff "forced rape", also einer tatsächlich gewalttätigen Vergewaltigung, gekommen. Diese Relativierung deutet auf ein Grundprinzip in der Sprachregelung der Abtreibungsgegner hin. Neben dieser besonders brutalen Form gibt es nach deren Einschätzung vermeintlich mildere Varianten: so zum Beispiel, wenn eine Frau vor dem Geschlechtsverkehr Alkohol getrunken hat und nicht allzu viel Widerstand leistet. Ihr steht dann nach Meinung der Initiatoren kein Anspruch auf Abtreibung zu.



Weitaus mehr Aufregung löste indes Akins medizinisch-physiologisch bizarre Behauptung aus, dass es allzu viele Schwangerschaften als Folge von Vergewaltigungen gar nicht gebe, da "der weibliche Körper Möglichkeiten hat, die ganze Sache herunterzufahren". Akin ist Mitglied des Kongressausschusses für Wissenschaft.



Ablehnung von Abtreibung ist republikanisches Selbstverständnis

Die Parteioberen, darunter auch Romney, legten Akin bislang vergeblich nahe, auf seine Senatskandidatur zu verzichten. Sie befürchten nicht nur, das schon sicher geglaubte Rennen in Missouri zu verlieren, sondern auch Wählerinnen und Wähler in der Mitte zu verprellen. Denn was nun in allen Medien breit diskutiert wird, ist, dass Akin zwar verbal ungeschickt agiert hat, inhaltlich aber voll auf Parteilinie liegt. Noch am Montag verabschiedete die Planungskommission des Parteitages eine "Plattform", die jedwede Abtreibung strikt ablehnt - auch nach Vergewaltigung, Inzest und bei Gefahr für das Leben der Mutter. Auch die Äußerungen katholischer US-Bischöfe zu der Frage liegen mehrheitlich auf der Wellenlänge der Republikaner.



Romney hielt in seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts an der Bundesgesetzgebung aus den 70er Jahren fest, die Abtreibungen bei bestimmten Indikationen erlaubt. Im bisherigen Wahlkampf bemühte er sich, das Thema Abtreibung unter Verschluss zu halten. Damit ist es nun vorbei. Die sozial Konservativen in der Partei haben plötzlich die Themenhoheit vor den bislang tonangebenden Wirtschafts-Konservativen. Eine ausnahmslose Ablehnung von Abtreibung ist längst Teil des republikanischen Selbstverständnisses, das auch von Sarah Palin und Romneys Rivalen Rick Santorum propagiert wird. Lediglich der Präsidentschaftskandidat von 2008, John McCain, wollte Grenzfälle anerkennen.



In der US-Bevölkerung findet laut einer Umfrage das Verbot von Abtreibungen auch bei Vergewaltigungsopfern bei 75 Prozent der Befragten keine Zustimmung. "Keine Partei", so Darrell West, Vize-Direktor der Brookings Institution, einem "Think Tank" in Washington, "möchte von ihren radikalsten Elementen her definiert werden. Genau das passiert jetzt den Republikanern." Es bestehe die Gefahr, dass die Wähler Akin keineswegs als Sonderling ansehen.