Ökumenisches Friedensgebet für Opfer des Olympia-Attentats 1972

Dem Tod zweimal entkommen

Shaul Ladany war acht, als er ins KZ Bergen-Belsen verschleppt wurde. Mit 36 nahm er als einziger Holocaust-Überlebender in seinem Team an den Olympischen Spielen in München teil und entkam dem Terroranschlag auf die israelischen Sportler. Mit einem ökumenischen Friedensgebet sollte am Abend in München an die Opfer des Olympia-Attentats 1972 gedacht werden.

Autor/in:
Karen Miether
 (DR)

Wenn Shaul Ladany sich Anfang September von Israel aus auf den Weg nach München macht, steht für ihn die würdige Erinnerung an seine Team-Kameraden obenan. Gemeinsam mit anderen Überlebenden nimmt der 76-Jährige am 5. September auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck an einer Gedenkfeier teil. 40 Jahre zuvor ermordete dort die palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" während der Olympischen Spiele in München einen großen Teil der israelischen Mannschaft. Ladany gehörte zu den wenigen, die entkamen.



"Ich will die Menschen ehren, die getötet wurden, und die Erinnerung an sie wachhalten", sagt er. Nicht zum ersten Mal war damals sein Leben in Deutschland bedroht. Er war erst acht, als er die Hölle des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durchlitt. Ein halbes Jahr lang war er 1944 in dem Lager interniert, in dem nahe der niedersächsischen Stadt Celle mehr als 52.000 KZ-Häftlinge umkamen.



Im September 1972 in München erlebte der Leichtathlet innerhalb weniger Tage erst den Wettbewerb im 50-Kilometer-Gehen, bei dem er als 19. ins Ziel lief, dann die Ermordung von elf seiner Teamkollegen. "Insgesamt war das eine vergleichweise kurze Zeit", sagt der Professor für Wirtschaftsingenieurwesen im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst, aber sie habe ihn geprägt: "Das ist ein großer Teil meines Lebens."



Ladany hat nicht vergessen: Nicht die Zeit, als er ein kleiner Junge war und seine jüdische Familie verfolgt wurde. Sie flohen von Jugoslawien nach Ungarn. Dann verschleppten die Deutschen ihn mit seinen Eltern und Schwestern nach Bergen-Belsen. "Ich erinnere jeden Tag dieser sechs Monate - den Hunger, den Regen, die Kälte, die endlosen Zählappelle, die Stacheldrahtzäune neben dem Elektrozaun, die Wachtürme, die SS-Offiziere, die uns immer anschrien", schreibt er in seinen Erinnerungen.



Die Ereignisse von München sind für Ladany präsent

Auch die Ereignisse von München sind für ihn präsent: "Ich habe sehr detaillierte Erinnerungen an das, was da geschehen ist." Dass er selbst immer wieder dem Tod entkam, verdanke er einer ganzen Serie von glücklichen Momenten, sagt Ladany. "Viele Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe, waren richtig. Aber da war auch vieles, was nicht in meiner Kontrolle lag."



Dazu gehörte, dass er im olympischen Dorf 1972 im zweiten Block des israelischen Quartiers in der Connolly Straße 31 untergebracht war - gemeinsam mit den Sportschützen. Er vermutet, dass die palästinensische Gruppe diesen Block bewusst ausließ, als sie das Quartier stürmte. Die Terroristen mussten damit rechnen, dass die Schützen ihre Waffen bei sich haben. Shaul Ladany überstand das Attentat auch ohne psychische Folgen.



Der emeritierte Professor blickt auf Erfolge im Beruf und im Sport zurück. Bis heute hält er den Weltrekord im Gehen über 50 Meilen: Sieben Stunden, 23 Minuten, 50 Sekunden. Er stellte ihn 1972 auf, einige Monate bevor er bei Olympia antrat. Noch immer treibt der dreifache Großvater Sport. "Nach einer Operation am Bein trainiere ich wieder." Im Frühjahr will er an seinem Geburtstag 77 Kilometer walken, einen für jedes Lebensjahr.



Ausdauer erfordert auch seine zweite Leidenschaft, meint Ladany: "Ich bin ein Sammler. Dazu braucht man einen besonderen Charakter. Es bedeutet, Dinge aufzuheben und an ihnen dranzubleiben." Über München 1972 und über das Lager Bergen-Belsen hat er besonders viele Zeitungsartikel und andere Zeugnisse zusammengetragen.



Ladany vermisst klares Zeichen vom Olympischen Komitee

In der Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck sieht Shaul Ladany ein wichtiges Signal. Doch nach seiner Ansicht hätte es nach London in die große Arena der Spiele gehört. "Jetzt sind wir weit weg von den Massen und die Aufmerksamkeit von Olympia ist längst vorbei." Er vermisst noch immer eine klares Zeichen vom Internationalen Olympischen Komitee, sagt er. Die amerikanische Kunstturnerin Aly Waisman habe es den Offiziellen vorgemacht, als sie ihre Goldmedaille den getöteten israelischen Sportlern widmete: "Eine sehr gute Geste."



"Die Erinnerung muss wachgehalten werden, auch nach 50 Jahren noch und zum 60. Jahrestag, der wieder mit Olympia zusammenfällt", betont Ladany: "Alle sollten an die Getöteten erinnern. Sie sind nicht nur israelische Opfer, sie sind Opfer der Olympischen Spiele."