Caritas und Optiker starten Aktion "Gutes Sehen für alle"

Wenn gutes Sehen zu viel kostet

Wer schlecht sieht und auf Sozialleistungen angewiesen ist, hat in Deutschland ein Problem - eine Sehhilfe übersteigt schlichtweg das vorgesehene Budget der sozialen Leistungen. Mit einer ungewöhnlichen Aktion machen der Deutsche Caritasverband und der Zentralverband der Augenoptiker darauf aufmerksam: Zusammen mit Sponsoren aus der Wirtschaft verschenken sie 3.000 Brillen an arme Berliner.

Autor/in:
Benedikt Angermeier
 (DR)

Eine individuelle Sehhilfe zahlt die Krankenkasse nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder wenn der Versicherte eine schwere Sehschwäche hat. Das heißt, Erwachsene müssen ihre Brille selber zahlen, solange sie eine Sehstärke über 30 Prozent haben. Erst wenn die Sehstärke darunter liegt oder ein Auge blind ist, zahlt die Krankenkasse. Für Caritas-Präsident Peter Neher zeigt sich darin, wie konkret das Thema der Caritas-Jahreskampagne "Armut macht krank" ist. So seien in der Sozialhilfe für therapeutische Mittel und Geräte jährlich 30 Euro vorgesehen. Eine Brille könne sich davon niemand leisten.



Brillenverlust käme einer finanziellen Katastrophe gleich

Deswegen hütet auch Lütz Machalewski seine Brille seit zehn Jahren wie den eigenen Augapfel. Ein Verlust käme einer finanziellen Katastrophe gleich, sagt der 56-Jährige Sozialhilfeempfänger. Er engagiert sich bei der Caritas als "Stromsparhelfer", ein Projekt in dem Langzeitarbeitslose Haushalte beim Stromsparen beraten. Ohne seine Brille könnte er da nicht mitmachen, betont er. "Das Ablesen am Stromzähler und das Arbeiten am Computer geht ohne Brille nicht", betont der Berliner. "Ein Glas kostet bei mir 189 Euro, das kann ich mir einfach nicht leisten."



"Aus dieser Not heraus besorgen sich viele arme Menschen an der Tankstelle oder im Internet eine Brille, die gefühlt hilfreich ist", erklärt Neher. Auf eine professionelle Augenmessung und eine individuell abgestimmte Sehhilfe verzichteten deshalb viele. Mit fatalen Folgen, wie Peter Lopez vom Brillenglashersteller Essilor erklärt. "Kopfschmerzen, Verspannungen und Konzentrationsstörungen sind Folgen, wenn etwa eine Brille nicht auf den individuellen Augenabstand ihrer Benutzer angepasst ist". Seine Firma stellt zusammen mit der Firma Silhouette Fassungen und Brillengläser zur Verfügung.



Nachfrage ist groß

So erhalten ab 15. Oktober bedürftige Berliner einen namentlich ausgestellten Gutschein in rund 50 Einrichtungen der Berliner Caritas. Anschließend werde direkt Kontakt zu einer der 60 teilnehmenden Optiker aufgenommen, die auf Vorlage des Gutscheins eine individuelle angepasste Brille anfertigen, erklärt die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. So solle verhindert werden, dass die Gutscheine verkauft werden. Für sie habe die Aktion insgesamt Vorbildcharakter. "Wie Handwerk und Wirtschaft mit der Caritas engagiert zusammenarbeiten, ist vorbildhaft", lobte Kostka. Ihre Mitarbeiter erlebten derzeit, wie stark das Interesse bereits vor dem Start ist, so Kostka. "Das Telefon steht seit der Ankündigung nicht mehr still", berichtet sie.



So seien die 3.000 Brillen vermutlich nur ein "Tropfen auf den heißen Stein", betont Neher. Auch wenn dadurch vielen Berlinern geholfen werde, löse die Aktion das strukturelle Problem nicht. Und so wollen Caritas und Augenoptiker eben auch deutlich machen, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe ihre Sehhilfe nicht finanziert bekommen. "Denn gutes Sehen ist ein Menschenrecht und kein Luxusgut", betont der Caritaspräsident.