Holocaust-Forscher Friedländer ist 80

Den Ermordeten eine Stimme geben

"Die Juden kamen ja meist nur als Opferzahlen vor. Ich wollte den Ermordeten ihre Stimme zurückgeben." Für den Historiker Saul Friedländer bedeutete die Erforschung des Holocaust mehr als die Darstellung trockener Fakten und abstrakter Strukturen. Am Freitag feierte Friedländer seinen 80. Geburtstag.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Wenn Sie die Tagebücher und Briefe der Opfer lesen, erkennen Sie deren Individualität, ihre Hoffnungen und Empfindungen", sagt der vor allem in Los Angeles lebende israelische Historiker und Holocaust-Forscher.



Ziel: Möglichst objektive Forschung als Miterlebender

Anders als Raul Hilberg, der große Pionier der Erforschung der Vernichtungspolitik, hat Friedländer in seinem zweibändigen Standardwerk "Das Dritte Reich und die Juden", das 1998 und 2006 auf Deutsch erschienen ist, nicht nur den mörderischen Vernichtungsapparat geschildert, bewusst auch den Ermordeten ihre Stimme wiedergegeben. Und zugleich eingeräumt, dass das Schreiben für ihn auch ein therapeutischer Prozess sei.



Als einer der letzten Miterlebenden des Holocaust unter seinen Fachkollegen hat er sich deshalb auch Gedanken darüber gemacht, wie rational und objektiv er selber über das Thema forschen kann. "Wie oft habe ich gehört, Juden könnten als Opfer keine objektive Geschichte des Holocaust schreiben. Das hat meinen Ehrgeiz geweckt", hat er gesagt. Und den älteren deutschen Historikern vorgehalten, dass auch sie als ehemalige HJ- oder NSDAP-Mitglieder keineswegs objektiv über die NS-Zeit forschen könnten.



Überlebte Holocaust in einem katholischen Internat in Frankreich

Als Kind deutschsprachiger Juden wurde Friedländer 1932 in Prag geboren. Während seine Eltern in Auschwitz ermordet wurden, überlebte er unter falschem Namen und als getaufter Katholik in einem katholischen Internat in Frankreich. 1946 entschloss er sich auf Anraten eines Jesuiten, Jude zu sein.



"Ich bin schnell nacheinander Kommunist und dann Zionist geworden und 1948 aus meinem Pariser Gymnasium nach Israel geflüchtet" schildert er seinen weiteren Lebensweg. Als Politikwissenschaftler und Historiker unterrichtete der Vater dreier Kinder später in Genf, Tel Aviv und Los Angeles. Auf den Holocaust als zentrales Thema kam er ausgerechnet bei einem Studienaufenthalt im Bonner Archiv des Auswärtigen Amtes, wo "ich Dokumente über Pius XII. gefunden habe. Das war der Anfang meiner Arbeit über die Schoah".



Im Streit über die wichtigsten Antriebskräfte für die Judenvernichtung hat Friedländer sich klar festgelegt: "Ich meine, dass nicht die Gesellschaft, sondern die Zentrale die treibende Kraft war, angefangen bei Hitler und seinen engsten Mitarbeitern in der Partei", argumentiert er. Den gesellschaftlichen Eliten in Deutschland, darunter auch den Kirchen, wirft der Historiker allerdings vor, der Radikalisierung der Judenpolitik der Nazis keine Kräfte entgegengesetzt zu haben. Verantwortlich dafür macht er die große Staatsfrömmigkeit der Deutschen sowie einen traditionellen religiösen Antijudaismus.



Friedländer: Historisierung des Holocausts wird zunehmen

Klare Worte findet der Historiker auch bei der Einordnung des Holocaust in die Politik der Nationalsozialisten. Es gebe viele Forscher, die die Judenvernichtung als eine Art Nebenprodukt der NS-Politik sähen, betont Friedländer. Nach seiner Ansicht aber war die sogenannte "Lösung der Judenfrage" für die Nationalsozialisten und für Hitlers politische und ideologische Einstellung zentral.



Zwar habe es in den 30er Jahren auch bei Hitler noch keine endgültigen Pläne gegeben. Spätestens Ende 1941, als der Eroberungsfeldzug in Russland ins Stocken geriet und Amerika in den Krieg eintrat, sei die Vernichtung der Juden aber mit äußerster Konsequenz vorangetrieben worden. "Die Juden waren für die Nazis der ideale Feind", schreibt Friedländer. Die Nazis hätten sie als "ein ständiges Mobilisierungsmotiv" gebraucht. "Damit sorgte man für die Kampfatmosphäre, die typisch für faschistische Bewegungen ist."



Für Friedländer ist klar, dass auch der Holocaust immer weiter historisiert wird. "Irgendwann wird man Bücher über das Dritte Reich und den Holocaust lesen wie heute Cäsars Gallischen Krieg", analysiert er nüchtern. "So wird es kommen, da hilft nichts."