domradio.de: Wir sind hier in unmittelbarer Nachbarschaft zum Vatikan und bei uns jemand, der mit dafür gesorgt hat, dass es einen neuen Heiligen Vater gibt, Rainer Maria Woelki, Kardinal von Berlin. Herr Kardinal, Sie sind das erste Mal dabei gewesen, was ist das für ein Gefühl, wenn man seine sieben Sachen packt und ins Gästehaus Casa Marta einzieht?
Rainer Maria Kardinal Woelki: Das war irgendwie schon eine sehr ernsthafte Atmosphäre. Als man dort ankam, stand direkt die vatikanische Gendamerie dort, hat das Gepäck abgenommen, das Gepäck wurde gefilzt und durchsucht, ob auch keiner irgendwie unlautere Mittel oder Aufzeichnungsgeräte mit hinein genommen hat ja und dann ging es auch schon sehr bald eben gleich los ins Konklave, nachdem wir zuvor einen Gottesdienst zusammen gefeiert haben, um Gott um einen guten neuen Papst zu bitten.
domradio.de: Wir konnten die Bilder sehen, auch als Sie nach vorne getreten sind und den Eid abgelegt haben. Sie wirkten sehr angespannt. Ist das eine große Belastung, die man in dem Augenblick empfindet?
Kardinal Woelki: Es ist schon eine große Belastung. Selbst für hartgesottene Gemüter ist das schon nur schwer nachzuvollziehen. Wenn man dort unter dem Gesang der allerheiligen Litanei dann eintritt in die Sixtina und dem wiederkommenden Christus entgegentritt und sich doch sehr klar bewusst wird, welche Verantwortung jetzt eben auch vor Gott auf einem lastet.
domradio.de: Das Volk Gottes betet, die Kardinäle wählen und letztendlich entscheidet der Heilige Geist. Können Sie uns ein bißchen dabei helfen: Wie wird das in so einem Konklave wirksam, wie spürt man, dass man auf den Richtigen kommt?
Kardinal Woelki: Das ist keine Absprache gewesen oder so, sondern jeder hat vor seiner Stimmabgabe an den Altar der Sixtina zu treten, der steht dort vor dem großen Kreuz und darüber der wiederkehrende Christus und jeder steht und hält dort seine Stimme hoch und ruft Christus als Zeugen an, dass er in dieser Stunde denjenigen wählt, von dem er glaubt, dass er von Gott berufen ist und dass er der beste Kandidat ist. Und dass sich dann tatsächlich nachher bei der Stimmauszählung herausstellt, und zwar von Anfang an, dass das Los auf diesen einen gefallen ist, das Los Gottes, das Los des Heiligen Geistes, das ist wirklich für mich eine ganz tiefe, geistliche Erfahrung.
domradio.de: Jetzt waren Sie ganz hautnah dabei. Wir haben nur gesehen, wie jemand als Kardinal ins Konklave eingezogen ist und wie er dann auf dem Balkon stand. Sie haben den unmittelbaren Moment der Wandlung mitgekriegt, was ist das für ein Gefühl, wenn man so dabei ist?
Kardinal Woelki: Ich habe mich auch gefragt, was wird das emotional jetzt sein. Der Papst hat die Wahl angenommen und dann ging er eben in die Kammer, um sich umzukleiden und er ging eben als Kardinal und dann auf einmal kam er in diesem schlichten Weiß ohne die anderen päpstlichen Attribute hinein. Die Kardinäle haben sofort einen langanhaltenden, warmen, herzlichen Applaus gespendet und ich habe den Eindruck gehabt, dass es eher eine Verlegenheit bei ihm ausgelöst hat und er hat versucht, das ein bißchen abzuwehren. Anschließend ist jeder Kardinal zu ihm hingegangen, er hat sich nicht auf den päpstlichen Thron gesetzt, er ist stehen geblieben, er hat jeden einzelnen umarmt, stehend begrüßt, hatte für jeden einzelnen ein gutes persönliches Wort. Bevor er das alles getan hat, ist er selbst erst zu dem einen Kardinal gegangen, der besonders gesundheitlich angeschlagen war, der sich selbst auch so nicht bewegen konnte. Er hat also nicht einen anderen diesen Kardinal im Rollstuhl nach vorne schieben lassen, sondern er hat sich auf den Weg gemacht und hat ihn sehr brüderlich umarmt und ja, ihn als Bruder willkommen geheißen.
domradio.de: Er hat sich auch den Namen des Bruderordens gegeben, Franziskus. Sie waren dabei, was ist Ihnen - auch als Caritas-Bischof- in dem Augenblick durch den Kopf geschossen?
Kardinal Woelki: Wir waren natürlich zunächst alle wie vom Donner gerührt. Damit hatte natürlich keiner gerechnet. Wird er sich vielleicht Johannes Paul III. nennen, um eine Tradition dort weiterzuführen oder wird er anschließen an Johannes XXIII. oder an Paul VI. oder so. Dass jetzt ein solcher Name dabei herausgekommen ist, damit hat wohl keiner gerechnet. Aber das hat auch sehr viel Wohlwollen hervorgerufen und ich denke, dass in den ersten Zeichen, die der Papst gesetzt hat, sehr deutlich geworden ist, was ihm ein Anliegen ist. Nämlich in aller Einfachheit und Schlichtheit die Kirche zu führen und das bedeutet, dass ihm die Schlichtheit und Einfachheit des Evangeliums, glaube ich, das Entscheidende und Wesentliche ist, wie bei Franziskus auch. Für ihn war es ja klar, dass er keine eigene Regel schaffen musste, wie das andere getan haben, sondern dass für ihn das Evangelium selber die einzige Regel ist, nach der zu leben sich lohnt.
domradio.de: Diese Schlichtheit konnte man auch auf dem Petersplatz spüren, als er sich verneigt hat und um das Gebet gebeten hat, es wurde mucksmäuschenstill, man konnte das Plätschern der Brunnen in diesem großen Rund hören bei diesen ganzen Menschen. Wie geht es dann nachher weiter? Die Türen schlossen sich, wird dann nochmal auf das Wohl des Heiligen Vaters angestoßen?
Kardinal Woelki: Er ist dann mit den anderen Kardinälen rübergefahren im Autobus und hat nicht seinen Dienstwagen in Anspruch genommen, sondern wollte bei den Bischöfen sein und ich denke, dass das auch ein wichtiges Zeichen ist. Dann haben wir zusammen zu Abend gegessen in einer brüderlichen Runde. Er saß wie wir alle an einem 6er- oder 8er-Tisch, so wie sie vorher zusammengestellt gewesen sind und die Nacht hat er dann in seinem Zimmer verbracht, das ihm vor dem Konklave zugelost worden ist, wie jedem anderen Kardinal auch. Natürlich stand für den neuen Papst ein entsprechendes Appartement vorbereitet zur Verfügung, aber davon hat er Abstand genommen und gesagt, Nein, ich gehe in mein Zimmer und da bleibe ich und das wird er auch tun bis zur Amtseinführung und danach soll wohl erst, wie ich gehört habe, der Umzug auch in den apostolischen Palast stattfinden. Ich denke, dass er durch seine Art auch dort einen neuen Geist hineinbringen wird.
domradio.de: Als Sie vorhin hingetreten sind, er spricht deutsch, was haben Sie ausgetauscht, gibt es da überhaupt eine Möglichkeit, sich auszutauschen?
Kardinal Woelki: Ja, das gibt es. Ich habe gesagt: "Heiliger Vater. Sie sind eine große Hoffnung für die Armen der Welt und insbesondere für die Armen in Berlin. Sie dürfen sicher sein, wir stehen zu Ihnen und wir begleiten Sie, auch mit unserem Gebet." Da hat er gesagt: "Ja, das brauche ich und ich verspreche auch Ihnen und der Kirche von Berlin mein Gebet." Also von daher sind wir auch hier auf einer guten geistlichen Weggemeinschaft mit ihm.
domradio.de: Der Erzbischof von Berlin, Kardinal Rainer Mari Woelki, herzliches Dankeschön für dieses Gespräch und herzliches Dankeschön auch für diesen Papst.
Kardinal Woelki: Ja gern, vielen Dank.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.