Interview mit dem Katholischen Militärbischof Overbeck zum Überfall auf Polen

"Auch Christen haben mitgemacht und geschwiegen"

Als Hunderttausende katholischer deutscher Soldaten ab 1. September 1939 in den Krieg zogen, vermieden die meisten Bischöfe politische Stellungnahmen. Militärbischof Overbeck im Interview über die Rolle der Kirche im Zweiten Weltkrieg.

Bischof Overbeck in Lourdes (KNA)
Bischof Overbeck in Lourdes / ( KNA )

Kompass: Zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg vor nun 75 Jahren feierten am 31. August 2014 deutsche und polnische katholische Bischöfe einen Gottesdienst in Gliwice (Gleiwitz). Welches waren die Gründe, die die Bischöfe bewogen, mit einem gemeinsamen Gottesdienst an den Beginn des Zweiten Weltkriegs zu erinnern?

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Die mit dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Gewalt- und Schulderfahrungen haben lange Zeit zwischen Deutschen und Polen gestanden. Noch heute spüren wir die Nachwirkungen dieser Zeit in den besonderen Sensibilitäten des deutsch-polnischen Verhältnisses. Auch das Verhältnis zwischen der Kirche in Polen und Deutschland war lange Zeit massiv gestört. Dieser Zustand der Unversöhntheit stellte unser christliches Friedenszeugnis infrage und forderte es heraus. Soll dieses Zeugnis nicht zur vertröstenden Propaganda werden, sondern den Frieden fördern und den Glauben bezeugen, so muss es sich an den Verwundungen, die das Leben und die Geschichte zufügen, bewähren. Mit dem Schreiben der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965, in dem die polnischen Bischöfe Vergebung aussprachen und ihrerseits um Vergebung baten, sowie mit der Antwort der deutschen Bischöfe wurde ein spannungsreicher, aber ausgesprochen fruchtbarer Weg der Versöhnung begonnen.

Wir stehen heute auf den Schultern der Generationen, die diesen Weg trotz aller Anfeindungen und Versuchungen gegangen sind. Die heutige Situation ist die einer erprobten Freundschaft, die sich der unterschiedlichen historischen Ausgangssituation beider Kirchen respektvoll bewusst ist, die aber vor allem in dem konstruktiven Bemühen vereint ist, gemeinsam Zeugnis von Frieden und Versöhnung abzulegen. Dazu gehört die gemeinsame Unterstützung der Arbeit der Maximilian-Kolbe-Stiftung ebenso wie das mittlerweile zu einem guten Brauch gewordene gemeinsame Begehen von einschlägigen Jahrestagen.

In diesem Jahr steht mit dem 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs in Deutschland ein anderes Ereignis im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die inneren Zusammenhänge zwischen beiden katastrophalen Ereignissen sind offensichtlich. Nicht zuletzt deshalb war ich dankbar für die Einladung der polnischen Bischöfe, zu einer gemeinsamen Eucharistiefeier nach Gleiwitz zu kommen. Im Zentrum dieses Gottesdienstes sowie des anschließenden Gebets am ehemaligen Sender Gleiwitz standen das Gedenken an die Opfer der Gewalt, der demütige Dank für die geschenkte Versöhnung sowie das Gebet für den Frieden. Dabei richteten wir den Blick vor allem auch auf die heutigen Herausforderungen, wie sie sich in der Ukraine oder dem Nahen Osten stellen.

Kompass: Am 20. Juli 1933 wurde das Reichskonkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossen. Es regelte u. a. die Seelsorge für die Soldaten in der späteren Wehrmacht. Wie bewerten Sie heute und in Ihrer Verantwortung als Militärbischof – im zeitlichen Abstand und angesichts der unstrittigen historischen Fakten – die Wehrmachtseelsorge?

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Die Wehrmachtseelsorge muss ebenso wie das Reichskonkordat differenziert betrachtet werden. Die meisten der Seelsorger waren deutschnational gesinnt, aber keine überzeugten Nationalsozialisten. Der Katholischen Militärseelsorge war es ein Anliegen, sich gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie zu behaupten. Die „Priester in Uniform“ leisteten zweifellos einen menschlich gesehen wertvollen Dienst an den Soldaten, sei es durch die Feier der Eucharistie, die Spendung des Bußsakraments, den seelischen Beistand in Todesgefahr, die Hilfe für Verwundete,  die Begleitung von zum Tode verurteilten Soldaten oder die Kontaktpflege zu Angehörigen. Dabei waren die Seelsorger häufig selbst unmittelbarer Todesgefahr und physischen wie psychischen Belastungen ausgesetzt, von denen wir uns kaum eine Vorstellung machen können. Ein offenes Aufbegehren gegen den Nationalsozialismus war in dieser Position für die allermeisten nicht denkbar.

Die Seelsorger waren als Pfarrer, anders als heute, in die Kommandostrukturen der Wehrmacht eingebunden. Sie waren Reichsbeamte im Offiziersrang, mussten einen Treueeid auf Adolf Hitler ableisten und standen unter dem Druck des Oberkommandos der Wehrmacht. Im Laufe des Krieges, nachdem sich Hitler selbst an die Spitze der Wehrmacht gesetzt hatte, wurden der Feldseelsorge vermehrt Steine in den Weg gelegt. So wurden vakante Stellen nicht mehr besetzt und Ordensangehörige ausgeschlossen. Die Nationalsozialisten hatten ein ambivalentes Verhältnis zur Seelsorge in der Wehrmacht: Einerseits funktionalisierten sie Seelsorge zur Stärkung der "Wehrkraft", andererseits gab es innerhalb der NSDAP Kräfte, die bestrebt waren, die Kirche langfristig zugunsten einer totalitären, auf Führer und Volksgemeinschaft ausgerichteten, neuheidnischen Ersatzreligion auszuschalten.

Differenzen zur nationalsozialistischen Ideologie, die vor 1933 noch Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Kirche und NSDAP gewesen waren, wurden bald von vielen Priestern und Bischöfen unter den Tisch gekehrt. Stattdessen hoben sie vermeintliche weltanschauliche Gemeinsamkeiten hervor. Schlagworte hierfür waren Gottgläubigkeit, Vaterlandsliebe, Gehorsam, Gefolgschaftstreue und Kampf gegen den Bolschewismus. Dass sich die Kirche hierbei so stark dem Geist der Zeit anpasste und sich von einem verbrecherischen und kirchenfeindlichen Regime auch instrumentalisieren ließ, war ein schwerer Fehler. Die Irrtümer und Fehleinschätzungen, denen in der Zeit des Nationalsozialismus auch hochrangige Vertreter der Kirche unterlagen, wurden nach 1945 nur zögerlich und punktuell eingestanden. Die Bereitschaft zum Widerspruch war das Außergewöhnliche. Verbreitet waren auch bei Christen das Mitmachen und das Schweigen.

Unsere schwere Geschichte verlangt somit immer neu nach Auseinandersetzung und Deutung. Als Christen wissen wir: Der Glaube an Gottes Güte macht frei, sich auch den dunklen Seiten der eigenen Schuldgeschichte zu stellen. Es gibt eine historisch-moralische Verantwortung. Wir erinnern uns, damit wir nicht nachlassen, den Frieden zu sichern und zu fördern.  

Kompass: Mit Blick auf die heutige Situation: Bedarf es weiterhin einer Katholischen Militärseelsorge in den deutschen Streitkräften und für die Familienangehörigen der Soldaten? Auch bei einem deutlichen Rückgang der konfessionell gebundenen Soldatinnen und Soldaten und damit der sakramentalen Notwendigkeiten? Wie begründet sich heute Militärseelsorge? Was sind Ihre Antworten darauf?  

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Das Zweite Vatikanische Konzil und in dessen Umsetzung die Apostolische Konstitution "Spiritualimilitum curae" sprechen von den besonderen Lebensumständen der Soldaten und Soldatinnen, die eine besondere Form der Seelsorge erforderlich machen. Gemeint sind spezifische Risiken physischer, psychischer und moralischer Natur, die den soldatischen Dienst charakterisieren. Soldaten müssen nicht nur das Risiko der eigenen Schädigung akzeptieren. Sie werden zudem mit Zerstörungen und Grausamkeiten konfrontiert und handeln in Krisen- und Gefährdungssituationen, in denen sie großen Belastungen ausgesetzt sind.

Die Soldatinnen und Soldaten sind freilich nicht nur mögliche Objekte militärischer Gewalt, sondern auch als Träger des staatlichen Gewaltmonopols deren Subjekte und so immer mit dem Risiko einer nicht gerechtfertigten oder eskalierenden Gewaltanwendung konfrontiert. In den vergangenen Jahren sind diese Risiken durch die Auslandseinsätze auch der Öffentlichkeit bewusst geworden.

Militärseelsorge begleitet mit vielfältigen Angeboten die Soldaten und ihre Familien in ihrer Lebenswelt und bietet ein Angebot an Lebenshilfe durch Gottesdienst, Verkündigung, kulturelle und soziale Diakonie. Die Akzeptanz dieser Arbeit ist bei sehr vielen – übrigens auch konfessionslosen – Soldaten und Soldatinnen sehr hoch. Auch der Staat anerkennt die Arbeit der Militärseelsorge, deren organisatorische Struktur er garantiert und fördert, um das verfassungsmäßig garantierte Recht auf ungestörte Religionsausübung der Soldaten sicherzustellen.

Nun hat sich zweifellos die religiöse Signatur Deutschlands und damit auch seiner Streitkräfte beträchtlich verändert. Zum einen wächst die Zahl nichtchristlicher, in erster Linie muslimischer Mitbürger, die in bescheiden wachsender Zahl in den Streitkräften ihren Dienst absolvieren, wie die Zahl derjenigen, deren Selbst- und Weltverständnis keinerlei Bezug auf die christliche Tradition mehr hat. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2013 für den Bereich der Bundeswehr ergibt folgendes Bild: Über die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten (55 %) gehört zu einer der beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland: 32 Prozent sind evangelisch und 23 Prozent katholisch. Als islamisch, orthodox oder jüdisch bezeichnen sich insgesamt nur 0,8 Prozent der Soldatinnen und Soldaten. Der Anteil der Personen, die sich keinem religiösen Bekenntnis zuordnen, liegt bei 40 Prozent.

Es ist gegenwärtig nicht absehbar, welche Konsequenzen sich möglicherweise durch die veränderte religiöse Landschaft in Deutschland auf das Religionsrecht ergeben werden. Prognosen sind aber momentan auch müßig. Denn nicht zuletzt gilt: Die Sorge der Kirche für die Soldatinnen und Soldaten gründet in deren Nöten, nicht in der Anzahl katholischer Soldatinnen und Soldaten in den Streitkräften.

Das Interview führte Josef König (Chefredakteur "Kompass. Soldat in Welt und Kirche"). 

"Kompass. Soldat in Welt und Kirche" ist die vom Katholischen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr herausgegebene Monatszeitschrift, die den Dienst und die Lebenswelt der Soldatinnen und Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" in den Mittelpunkt stellt. Auf der Internetseite www.katholische-militaerseelsorge.de sind alle Ausgaben des "Kompass. Soldat in Welt und Kirche" als Web Paper und im Portable Document Format (PDF) zum Herunterladen für Sie bereitgestellt.