KNA: Herr Bischof, wie sind Ihre ersten 100 Tage im Bistum Erfurt verlaufen?
Neymeyr: Es war eine turbulente Zeit, in der ich viele Menschen und viele Zusammenhänge kennengelernt habe. Es verlief alles in einer wohlwollenden und freudigen Atmosphäre, das machte es mir leicht, hier anzukommen.
KNA: Welche Ihrer Erwartungen haben sich bestätigt, welche nicht?
Neymeyr: Bestätigt hat sich, dass ich in eine extreme Diaspora-Situation komme, zu der zugleich das Eichsfeld mit über 80 Prozent Katholiken in starkem Kontrast steht. Überrascht hat mich, dass die katholische Kirche in Thüringen trotz des insgesamt geringen Bevölkerungsanteils von Politik und Gesellschaft durchaus aufmerksam wahrgenommen wird.
KNA: Was sind Ihre großen «Baustellen» im Bistum?
Neymeyr: Es ist zunächst die Strukturreform. Diese Baustelle ist aber bereits voll im Betrieb. Der Fahrplan zur Bildung größerer Pfarreien ist schon beschlossen und wird umgesetzt.
KNA: Werden Sie etwas daran ändern?
Neymeyr: Nein, im großen Ganzen nicht. Die Zahl der Priester und Gemeindereferenten, mit denen wir in Zukunft rechnen können, wird nicht wesentlich von den ursprünglichen Schätzungen abweichen.
KNA: Welche Reaktionen auf die Reform haben Sie in den Gemeinden erfahren?
Neymeyr: Das ist unterschiedlich. Von einigen höre ich, dass die größeren Einheiten so wie geplant in Ordnung sind, andere haben noch Einwände und Bedenken. Die Grundfrage ist, wie das kirchliche Leben weitergeführt werden kann, wenn kein Seelsorger mehr am Ort wohnt. Dann ist es wichtig, die Gemeindemitglieder zu ermutigen, mehr Verantwortung in der Kirche zu übernehmen, und sie entsprechend zu qualifizieren.
KNA: Welche Rolle spielen in dieser Situation die von Laien geleiteten Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionausteilung, wenn keine Eucharistiefeier möglich ist?
Neymeyr: Ich erlebe, dass sie in Ostdeutschland eine gute Tradition haben. Das verwischt keineswegs die Grenze zur Eucharistie. Die Teilnehmer wissen sehr wohl, dass es sich um keine Heilige Messe handelt. Im übrigen leiten die ostdeutschen Diakonatshelferinnen und Diakonatshelfer, die es nun schon 50 Jahre gibt, nicht nur Wort-Gottes-Feiern, sondern engagieren sich auch in anderer Weise verantwortlich.
KNA: Eine weitere Baustelle ist angesichts rückläufiger Zahlen der Priesteramtskandidaten sicher die Katholisch-Theologische Fakultät in Erfurt. Wie wichtig ist Ihnen diese Einrichtung?
Neymeyr: Ganz wichtig. Es ist die einzige katholisch-theologische Fakultät Deutschlands in einem solch säkularen Umfeld. Das prägt sie auch in ihren Inhalten. Wer hier Theologie studiert, kann lernen, mit Menschen ohne religiöses Bekenntnis in Dialog zu treten. Die Fakultät ist auch für die Universität Erfurt von großer Bedeutung. Überdies gibt es eine gute Kooperation mit der evangelischen Fakultät in Jena.
KNA: Das Bistum Erfurt ist auch bekannt für seine pastoralen Initiativen, etwa die Feiern der Lebenswende für ungetaufte Jugendliche als Alternative zur atheistischen Jugendweihe. Was halten Sie von diesen Modellen?
Neymeyr: Auch sie haben es für mich reizvoll gemacht, nach Erfurt zu gehen. Solche Modelle zeigen, dass Kirche für alle da ist.
KNA: In Ihren ersten Amtswochen machte die islamfeindliche Pegida-Bewegung von sich reden, unter anderem mit der Berufung auf die christlichen Traditionen Europas. Was sagen Sie dazu?
Neymeyr: Wer sich auf das christliche Abendland beruft, muss auch die christliche Grundeinstellung übernehmen, dass der Fremde nicht mein Feind, sondern zuerst einmal mein Gast ist.
KNA: Manche sehen die extreme Minderheitenlage der ostdeutschen Christen als Vorbote einer Situation, wie sie der Kirche bundesweit bevorsteht. Was halten Sie von dieser Einschätzung?
Neymeyr: Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. Es wird aber überall in Deutschland so sein, dass sich die Kirche mehr auf die Menschen einstellen muss, die von der christlichen Botschaft nichts wissen oder nichts wissen wollen. Da kann man im Osten einiges lernen.
Das Interview führte Gregor Krumpholz.