Weltkirche-Erzbischof Schick über seinen Besuch in der Türkei

"Schotten dicht ist keine Lösung"

Der Weltkirche-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, hat mehrere Orte in der Türkei besucht, vom Südosten bis nach Istanbul im Westen. Im Interview berichtet er über seine Begegnungen in Flüchtlingsprojekten und mit türkischen Kirchenvertretern.

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Erzbischof Schick (links) in Istanbul (DBK)
Erzbischof Schick (links) in Istanbul / ( DBK )

KNA: Herr Erzbischof, Sie sind seit einigen Tagen in der Türkei. Wie haben Sie die Stimmung im Land nach dem Putschversuch Mitte Juli empfunden?

Schick: Vor allem habe ich die katholische Kirche besucht und ökumenische Kontakte gepflegt. Eigentlich scheint hier alles recht entspannt. Ich habe natürlich auch unsere Gesprächspartner immer wieder gefragt. Sie sagen: Wir spüren von den Folgen des Putsches eher wenig.

KNA: Sie sind auch mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. zusammengetroffen?

Schick: Ja, ich habe ihn an seinem Amtssitz besucht. Anschließend habe ich mit vielen anderen orthodoxen und katholischen Kirchenvertretern an einem Gottesdienst zum "Welttag der Schöpfung" teilgenommen. Der 1. September ist für die orthodoxen Kirchen auch der Beginn des Kirchenjahres. Ich sprach mit ihm unter anderem auch über die Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag für die Bewahrung der Schöpfung. Er freute sich sehr darüber.

KNA: Und haben Sie mit ihm auch darüber gesprochen, dass die nationalistische Presse ihn offen mit dem Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan in Zusammenhang bringt? Bartholomaios paktiere mit dem Staatsfeind Nr. 1, dem Prediger Fethullah Gülen, hieß es dort.

Schick: Ich habe mit einem seiner engen Mitarbeiter darüber gesprochen. Das Patriarchat hat eine Erklärung abgegeben, dass nichts davon stimme. Der Patriarch ist ein Kirchenmann, ein Gottesmann -und er hat einen theologisch-pastoralen Schwerpunkt: die Schöpfung. In die Politik hat er sich nie eingemischt. Ich kenne Bartholomaios schon viele Jahre, auch persönlich, ich halte diesen Vorwurf für abstrus. Er wurde auch nur von einer einzigen Zeitung kolportiert.

KNA: Aber gefährden solche Vorwürfe nicht die ohnehin bedrängte Stellung der orthodoxen Kirche in der Türkei - und auch der anderen christlichen Kirchen?

Schick: Ich habe mit vielen Kirchenleuten darüber gesprochen. Sie bleiben alle gelassen, nehmen die ganze Geschichte nicht ernst. Sie sagen, das komme nur von einem einzigen Blatt, und die Quellen, auf die es sich beruft, hätten schon alle dementiert. Tatsächlich hört man auch nach zwei Tagen schon gar nichts mehr davon in den Medien und in der Öffentlichkeit.

KNA: Ein zentrales Thema Ihrer Reise war die Lage der Flüchtlinge in der Türkei. Wie sind Ihre Eindrücke aus den Flüchtlingsprojekten, die Sie besucht haben?

Schick: Nun, zunächst muss ich einschränken: Ich habe kirchliche Flüchtlingsprojekte besucht. Die Christen kümmern sich um die christlichen Flüchtlinge aus dem Irak und Afrika - mehr ist auch gar nicht möglich. Denn die Christen hier, alle Konfessionen zusammen, sind vielleicht 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit ihrer kleinen Kraft tun die Kirchen aber wirklich sehr Großes: in den Pfarreien, Schulen, Krankenhäusern etc., und derzeit auch für Flüchtlinge.

KNA: Die Türkei hat eine sehr große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, nach offiziellen Angaben 2,7 Millionen. Das ist eine große Solidarität. Gleichzeitig hat man aber in Deutschland das ungute Gefühl, dass auf dem Rücken der Flüchtlinge ein politischer Kuhhandel mit der EU ausgetragen werde. Halten Sie die Regierung Erdogan für einen verlässlichen Verhandlungspartner?

Schick: Das kann ich nicht beurteilen. Die Regierungen weltweit müssen sich bemühen, mit Erdogan zu einem vernünftigen Miteinander zu kommen. Die Türkei ist ein großes Land und hat eine ganz wichtige Brückenfunktion zwischen dem Nahen Osten und dem Westen, aber auch mit Afrika und Asien. Deshalb sind ja so viele Flüchtlinge hier; für sie ist die Türkei ein Transitland. Ich habe mit vielen Flüchtlingen vor allem aus dem Irak gesprochen - fast alle wollen in die USA oder nach Australien.

Das Miteinander mit der Türkei ist durch den gescheiterten Putsch gestört worden. Nach dem Putsch haben die Regierung Erdogan und auch große Teile der Bevölkerung sehr stark reagiert. Man muss die Überreaktionen benennen - aber auch versuchen, sie möglichst schnell abzubauen. Dieser Tage war EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hier; es gibt wieder verstärkt politische Anknüpfungspunkte. Auf diesem Weg muss man weitergehen. Nicht Isolation, sondern echter politischer Dialog ist gefordert. Jetzt die Schotten dichtzumachen, ist keine Lösung - gerade auch für die Millionen Flüchtlinge nicht, die eine humane politische Lösung brauchen.

KNA: Was nehmen Sie im Gepäck mit von Ihrer Reise?

Schick: Vor allem die Bewunderung für die hiesigen Christen; mit ihren kleinen, begrenzten Möglichkeiten tun sie viel Gutes. Die Katholiken in Europa und in der ganzen Welt müssen helfen und darauf hinwirken, dass sie das weiter tun können. Dazu ist auch wichtig, dass die katholische Kirche in der Türkei einen anerkannten Rechtsstatus bekommt - den sie immer noch nicht hat. Auf der politischen Ebene muss auch immer wieder über Religionsfreiheit und Menschenrechte gesprochen werden.

Die Kirchen in Europa sollten noch bessere Beziehungen zu den Kirchen in der Türkei pflegen. Wie ein großer Bruder sollten sie den kleineren immer wieder ermutigen zu wachsen und ihm auch in Schwierigkeiten beistehen. Ökumene und die innerkirchliche Gemeinschaft sind in der Türkei für alle Kirchen überlebenswichtig. Dabei ist Unterstützung durch die Weltkirche wichtig.

 Das Interview führte Alexander Brüggemann.