Mexikanischer Kardinal zum Drogenhandel in seinem Land

"Es herrscht ein unerklärter Krieg"

Folter, Hinrichtungen, Tote und Verletzte. Die Schlagzeilen aus Mexiko, wo seit Jahren ein brutaler Drogenkrieg herrscht, sind zumeist grausam. "Jeden Tag sterben 15, 20 oder 30 Menschen", sagt der mexikanische Kardinal Juan Sandoval Iniguez. Im Interiew spricht der Erzbischof von Guadalajara über den Drogenhandel in seiner Heimat, die Staatskrise in Honduras und die Auseinandersetzungen zwischen der politischen Rechten und Linken in Lateinamerika.

Autor/in:
Caroline Schulke
 (DR)

KNA: Herr Kardinal, Honduras sorgt international für Schlagzeilen.
Wie beurteilen Sie die Lage?
Sandoval: Als mexikanischer Bischof kann ich mich nicht in die Politik eines anderen Landes einmischen. Aber eines steht fest:
Präsident Zelaya wollte mit der Hilfe und nach dem Vorbild von Venezuelas Präsident Hugo Chavez die Verfassung ändern, um wiedergewählt zu werden und an der Macht bleiben zu können. Er strebte eine Diktatur an. Damit hat er gegen das Recht und gegen die Verfassung verstoßen. Deshalb hat das Parlament ihn zu Recht abgesetzt.

KNA: International stößt das Vorgehen auf Kritik, insbesondere die gewaltsame Abschiebung Zelayas ins Exil durch die Militärs.
Sandoval: Das ist ein Ablauf, wie wir ihn schon oft erlebt haben in Lateinamerika. Ein abgesetzter Präsident muss das Feld räumen oder entfernt werden, um weitere Probleme zu verhindern. Im Hintergrund steht ein Kampf zwischen Rechten und Linken, der heute in Lateinamerika sehr präsent ist. In Honduras, aber auch in Venezuela, Nicaragua oder Bolivien.

KNA: Wo steht die Kirche?
Sandoval: Sie will sich raushalten, sich weder der einen noch der anderen Seite anschließen. Wir wollen gute Regierungen, die sich um das Volk kümmern und bestehende Probleme lösen. Die Ideologien in Lateinamerika greifen nicht sehr tief, entwickeln keine politischen Visionen. Vielmehr geht es um Gefühle und um Interessen.

KNA: Wessen Interessen?
Sandoval: Die Rechten repräsentieren oft das große Kapital, die Interessen der Mächtigen. Die Linken geben dagegen an, die Armen zu repräsentieren und für die Benachteiligten zu arbeiten. Aber daran glaube ich nicht. Auch sie streben letztlich nach der Macht und kümmern sich nicht wirklich um die Armen.

KNA: Gute Regierungen sollen die bestehenden Probleme lösen, sagen Sie. Wo liegen die zentralen Aufgaben in ihrer Heimat?
Sandoval: Der Drogenhandel ist seit Jahrzehnten das größte Problem in Mexiko. Er durchzieht die gesamte Gesellschaft, bis hinauf in die obersten Zirkel der Macht, sei es in Politik, Wirtschaft oder bei der Polizei. Einige der Entscheidungsträger stehen sogar auf der Gehaltsliste der Kartelle. Der Drogenhandel droht, das ganze Land zu bestimmen und die Macht der Regierung auszuhöhlen.

KNA: Wie reagieren die politisch Verantwortlichen?
Sandoval: Präsident Felipe Calderon hat den Drogenkartellen 2006 den Kampf angesagt. Es herrscht seitdem quasi ein unerklärter Krieg auf Mexikos Straßen. Jeden Tag sterben 15, 20 oder 30 Menschen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren sind Tausende auf beiden Seiten getötet worden: Unter den Opfern sind Drogenhändler, Polizisten, aber auch völlig Unbeteiligte. Es ist eine Spirale der Gewalt. Wenn einer der Drogenbosse festgenommen wird, bekriegen sich andere um seine Nachfolge.

KNA: Das klingt, als sei der Kampf gegen den Drogenhandel kaum zu gewinnen.
Sandoval: Und er wird nicht dadurch leichter, dass Mexiko Teil eines größeren Problems ist. Der Drogenhandel findet ja international statt, verschiedene Länder sind involviert. Drogen aus Kolumbien, Peru oder Bolivien kommen durch Mexiko auf ihrem Weg in die USA.
Dort ist ein großer Markt für Drogen, wo auch das nötige Geld vorhanden ist. Die einzelnen Länder müssen folglich gegen den Handel mit Drogen an einem Strang ziehen.

KNA: Welchen Beitrag leistet die Kirche in Mexiko?
Sandoval: Wir erkennen an, dass der Kampf gegen den Drogenhandel der Regierung legitim, weil ohne Alternative ist. Man muss gegen die Kartelle vorgehen, will man ihnen nicht ganz das Feld und die Macht überlassen. Das ist die Pflicht des Staates. Aber es gibt auch gewaltfreie Formen des Kampfes, etwa die Kontrolle von Banken und die Beschlagnahmung von Geld aus Drogengeschäften. Damit hat die Regierung mittlerweile begonnen. Die Kirche selbst predigt auf allen Ebenen in den Pfarreien und Bistümern gegen Drogenkonsum und -handel. Zudem gibt es einige kirchliche Hilfsprogramme für Drogensüchtige.

KNA: Wird die Kirche wegen ihrer Stimme und ihres Engagements gegen den Drogenhandel auch selbst zur Zielscheibe?
Sandoval: In einige Teilen des Landes: Ja. Es wurden bereits Priester ermordet, andere bedroht. Auch einzelne Bischöfe erhalten Morddrohungen. Aber das ist zum Glück die Ausnahme.