Kurt Steinmann über 'Daphnis und Chloe'

"Dieser Roman ist ein Fest der Schönheit"

Daphnis und Chloe ist neben Romeo und Julia das wohl berühmteste Liebespaar der Weltliteratur. Kurt Steinmann hat den Romanklassiker neu ins Deutsche übertragen. Im DOMRADIO.DE Interview erzählt er, warum dieses Buch glücklich macht.

Kurt Steinmann / © Johannes Schröer (DR)
Kurt Steinmann / © Johannes Schröer ( DR )

"Es ist ein Werk der Anmut, der Schönheit, der Liebe", schwärmt Übersetzer Kurt Steinmann über den berühmtesten Roman der Antike. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Liebespaares. Daphnis und Chloe sind zwei Findelkinder, die bei Hirtenfamilien in der freien Natur auf der griechischen Insel Lesbos aufwachsen. "Zwischen Mensch und Natur ist kein Riss. Das ist auch etwas sehr Modernes an dem antiken Roman", sagt Steinmann. Der Dichter Longos besingt hier den Zauber der erblühenden Natur, die sich in den Liebeständeleien der beiden Hirtenkinder spiegelt. Daphnis und Chloe sind naive Kinder, die ganz langsam erwachsen werden und erst lernen, was ihnen da widerfährt. Ahnungslos geraten sie in einen zartfühlenden Liebestaumel. Das Hohe Lied der Liebe wird hier in aller Schönheit gepriesen.

Pietätvolle Hinwendung zum Göttlichen

"Aber in diese Welt bricht immer wieder der Schrecken ein. Entführung, Drohung von Vergewaltigung, Neid und Missgunst, Zerstörung des Gartens", beschreibt Steinmann die gefährdete Welt der Liebenden. Daphnis und Chloe drohen einander verloren zu gehen. Als Chloe entführt wird, hadert Daphnis mit den Göttern, mit den Nymphen. "Er klagt sie an. Wie könnt ihr so etwas geschehen lassen? Sie erscheinen ihm dann im Traum und weisen ihn zurecht", erklärt Steinmann. "Hier tritt dann ein Zweifel an der Güte der Gottheiten auf".

Zweifel und Verzweiflung hängen bei Daphnis eng zusammen. Er betet, fleht, würde aber nie die Existenz Gottes in Frage stellen. "Den ganzen Roman durchdringt das Ethos pietätvoller Hinwendung zum Göttlichen", sagt Steinmann. "Daphnis und Chloe sind demütig, weil sie wissen, dass sie den Göttern ihre Existenz zu verdanken haben. Von daher ist dieser Roman auch ein religiöses Werk".

Obwohl das Meisterwerk über 1800 Jahre alt ist, mutet es in seiner Weisheit sehr modern an, ist Kurt Steinmann überzeugt, weil es uns auch heute noch viel zu sagen hat. "Es ist eine entschleunigte Kultur. Heute muss ja alles 'pronto', subito' gehen. Von daher hat dieses Werk auch eine didaktische Funktion für die heutige Jugend, die heißt: Sich Zeit lassen im Reifeprozess".

Landleben gegen Stadtleben

Sehr modern wirkt auch die offene Kritik am städtischen Leben. Aus der lärmenden Stadt kommt nicht nur Unruhe, sondern auch Gewalt und Krieg. "Die beiden halten es in der Stadt nicht aus", sagt Steinmann. "Sie hätten die Chance, in der Stadt ein bequemes Leben zu haben, aber sie sagen, wir wollen das nicht, wir wollen auf das Land. So leben sie ihr Leben als Hirten fort".

Am Ende geht alles gut aus. Sogar Neid und Missgunst werden gebändigt. "Der Schatten wird hereingeholt und integriert in den Frieden", sagt Steinmann. Daphnis und Chloe heiraten. Ihr Liebesspiel findet in der Hochzeitsnacht endlich ihren Höhepunkt. Sie begreifen, 'dass alles, was sich früher zwischen ihnen am Waldrand abgespielt hatte, bloß Hirtentändelei gewesen war', so lautet die Übersetzung des letzten Romansatzes von Kurt Steinmann. "Noch wörtlicher würde es heißen: Spielzeuge von Hirten", erklärt er.

Schon Goethe wußte, dass man wohl daran tut, jedes Jahr einmal diesen Roman zu lesen – um zu lernen und wieder zu empfinden, was Schönheit wirklich ist. Und jetzt gibt es noch einen weiteren Grund, den Romanklassiker zur Hand zu nehmen. In der liebevollen Neuübersetzung von Kurt Steinmann liest sich 'Daphnis und Chloe' wie ein schwebender Traum von der Liebe, wie eine zartfühlende Erinnerung an den großen Zauber und wie ein zeitloses Versprechen auf Ewigkeit. 


Liebespaar / © Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse)
Liebespaar / © Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse)

Liebesschlösser in der Nähe des Kölner Domes / © Oliver Berg (dpa)
Liebesschlösser in der Nähe des Kölner Domes / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
DR