Über die Wupper gehen ist wohl eine der rätselhaftesten deutschen Redensarten überhaupt. Denn die Liste der mehr oder minder glaubwürdigen Erklärungsversuche ist ähnlich lang wie der Fluss selbst. Und der schlängelt sich immerhin knappe 120 Kilometer durchs Bergische Land, bevor er in Leverkusen in den Rhein mündet.
Blick in die Bibel
Da hätten wir beispielsweise 'Über die Wupper gehen' als heimische Ausgabe der biblischen Redensart 'über den Jordan gehen'. Auch in der griechischen Sagenwelt gelangt man über einen Fluss, den Styx, ins Reich der Toten, den Hades. Sicherlich können das Vorbilder für unsere heutige Redensart gewesen sein.
Offen allerdings bleibt weiterhin die Frage, warum es gerade die Wupper ist, die wir benutzen. Immerhin gibt es weitaus bedeutendere Flüssen, wie Elbe oder Rhein, zu denen es derartige Rede- wendungen nicht gibt.
Gerichtsinsel in der Wupper
Als im 19. Jahrhundert die an der Wupper gelegenen Städte Elberfeld und Barmen (1929 vereinigt zu Wuppertal) an Größe, Bevölkerung und Bedeutung zunahmen, stießen die bis dato recht beschaulichen Stadtverwaltungen an ihre Grenzen. Zur effektiveren Bekämpfung der steigenden Kriminalität wurde dem königlich-preußischen Landgericht Elberfeld ein Neubau spendiert. Dieser Neubau befand sich auf einer Insel in der Wupper, die in der Folge als Gerichtsinsel bekannt wurde. Gegenüber dem Landgericht, aber jenseits der Wupper, wurde später ein neues Gefängnis errichtet, das auch für Hinrichtungen ausgerüstet war. Wer also am Landgericht zur schlimmsten aller Strafen verurteilt wurde, ging über die Wupper zum Richtplatz, um dort sein gewaltsames Ende zu finden.
War ein Geschäftsmann bankrott und wollte am Gericht die entsprechenden Formalitäten erledigen, musste er ebenfalls über die Wupper gehen. Wenigstens kam er mit dem Leben davon.
Als Kriegsverweigerer über die Wupper
Spannend klingt auch diese Herleitung: Nachdem der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I.1713 gekrönt worden war, ließ er in seinem Herrschaftsbereich eine große Zahl junger Männer als Soldaten zwangsverpflichten. Wer sich dem entziehen wollte, flüchtete über den Grenzfluss Wupper ins benachbarte Herzogtum Berg, wo er vor der Zwangsrekrutierung sicher war. Die Flucht aus der Heimat war immer noch besser als unter der brutalen Fuchtel preußischer Offiziere zu stehen. Für die Beteiligten war der Gang über die Wupper oft die letzte Möglichkeit, sich zu retten.
Aber passt diese Herleitung zur heutigen Redensart? Tut sie, denn für die Kriegsdienstverweigerer bedeutete der Gang über die Wupper den Verlust der Heimat und des Hab und Guts. Sie mussten ihre Arbeit zurücklassen und gingen nicht selten in der Fremde pleite.