Schauspiel Köln widmet sich der Religionssuche

"Glaubenskämpfer"

Gläubige Menschen erzählen im aktuellen Stück "Glaubenskämpfer" des Schauspiels Köln, warum sie an Gott glauben. Auch Extremisten kommen zu Wort. Und die säkulare Welt kommt ins Wanken.

Sr. Johanna OSB / © David Baltzer/ Schauspiel Köln
Sr. Johanna OSB / © David Baltzer/ Schauspiel Köln

"Nicht die Religionen haben zu einem Gespräch oder Symposium eingeladen, sondern im Grunde hat die Welt die Religionen eingeladen, das muss man ganz hoch schätzen." Die Ordensschwester Johanna vom Kloster der Benediktinerinnen in Köln-Raderthal erlebte schon die Theaterproben als außergewöhnlich herausfordernd und inspirierend. Wochenlang saß sie mit gläubigen Muslimen, einem Juden und vier Schauspielern des Kölner Ensembles an einem Tisch, um über grundlegende Glaubensfragen und -erlebnisse zu reden: wie wird man gläubig, gibt es die Erbsünde oder wie gehen wir mit religiösem Extremismus um.

Der Theaterabend beginnt mit einem Bilder- und Stimmensturm auf großen Projektionswänden, die wie riesige Buchseiten auf- und zugeklappt werden können. Eine clipartige Collage aus der vielfältigen Welt der Gläubigen. Dann wird es still. Vier Schauspieler in Alltagskleidung sitzen in runden Scheinwerferkegeln und fragen: Was ist, wenn die säkulare Welt ins Wanken gerät und die Gläubigen Recht behalten? Warum ist der Glaube landauf, landab wieder ein Thema? Die locker geführten Gespräche werden emotional. "Es gibt Ärger, wenn man über Religion spricht", stellt das Ensemble fest.

Gottgläubiges Kind schießt auf Spatzen

Ganz ruhig und bewegend aber sind die sehr persönlichen Glaubensgeschichten von den Gläubigen selbst. Als erste erzählt Ordensschwester Johanna im schwarzen Habit der Benediktinerinnen, wie sie als gottgläubiges Kind mit dem Luftgewehr ihres Vaters einen Spatzen erschossen hat. Aus Mitleid mit dem gekreuzigten Jesus hat sie aber auch das Kruzifix an der Wand ihres Kinderzimmers mit in ihr Bett genommen, um es zu wärmen. Gelassen spricht sie auch über ihre Teenager-Jahre und ihre Gottesferne. "Wir haben Alkohol getrunken, bis der Kick kam." Einen Joint hat sie auch hin und wieder geraucht. Doch als Studentin der Vergleichenden Religionswissenschaften entdeckte sie nach einer langen Nacht der Entscheidung in einem kontemplativen Orden Gott und entschied sich für den spirituellen Weg als Nonne.

Die freie Entscheidung für Allah war auch für die Muslima Ayfer Sentürk Demir das Ende eines steinigen Weges: als Elfjährige wurde sie von ihren in Deutschland lebenden Eltern in eine strenge Koranschule nach Istanbul geschickt, ohne Kontakt zu den Eltern. Sie reagierte rebellisch, doch später hat sie sich in aller Freiheit für den Islam entschieden und trägt aus Überzeugung ein Kopftuch. Ergreifend auch die Geschichte des liberalen jüdischen Psychotherapeuten Avraham Applestein, der in Israel den Wehrdienst verweigerte, ins Ausland gehen musste und als Kind von Holocaust-Überlebenden ausgerechnet eine Deutsche heiratet. Er bekennt sich zum Schöpfergott und glaubt an die menschliche Vernunft und den jüdischen Ethos, "die über der religiösen Praxis stehen".

Das große Thema des Abends aber ist der Islam. Ein Rekrutierungs-Video des sogenannten Islamischen Staates flimmert über die Leinwand. Haarsträubende Bekenntnisse von extremistischen Salafisten wie Bernhard Falk, der zu den Proben eingeladen wurde, werden als Videobotschaft gezeigt. Schwester Johanna erinnert sich: "Ein heißes Thema auf den Proben war, wieviel Extremismus darf Raum bekommen. Da waren wir uns gar nicht einig."

Regisseur Calis wählte auch extreme Vertreter

Regisseur Nuran David Calis wollte aber die extremen Vertreter von Glauben nicht von der Bühne verbannen. Auch nicht extremistische Pegida-Anhängerinnen, die von Gott sich Unterstützung für ihren Krieg erbeten. "Das was sie sagt, hat mit Jesus nichts zu tun", empört sich Sr. Johanna. Für sie ist Gott die Liebe, die über allen Gegensätzen steht. Doch warum müssen sich Christen nicht für aggressive Pegida-Anhänger entschuldigen, aber jeder Muslim für den IS und die Salafisten, fragt der Rapper und Pädagoge Kutlu Yurtseven.

Prominentes Ensemble-Mitglied war der Ex-Salafist und ehemalige Katholik Dominic Schmitz. Er erklärt, warum er zum extremen Salafismus à la Sven Lau als junger Mann konvertiert ist. Seine Eltern hatten sich nicht um ihn gekümmert. Auf seine Freunde konnte er sich nicht verlassen. Bei den Salafisten fand er dagegen Gemeinschaft und in ihrer Auslegung des Korans einen Glaubenshorizont, der klar umriss, was gut und böse ist. Heute wird er mit Morddrohungen und Beschimpfungen von seinen ehemaligen Glaubensbrüdern belegt, weil er den Weg aus dem extremistischen Islam gewählt hat. Muslim aber ist er geblieben.

Ist es bloß ein Zweckbündnis?

Auf der Theaterbühne aber werden auch philosophische Fragen verhandelt. So bekennt Schauspieler Martin Reinke, dass er es mit der Pascal’schen Wette hält, einfach einmal zu glauben, dass Gott alles fügt. Und er sei gut damit gefahren. Und die Frage steht auch im Raum, warum alle Religionen und Kulturen an einen Höheren glauben. Ist es bloß ein Zweckbündnis?

Mal stehen die Glaubenden nebeneinander, mal trennen sie sich hochemotionalisiert, weil sie anderer Meinung sind. Für Ordensschwester Johanna wird aber an diesem Theaterabend gezeigt, was immer zwischen unterschiedlich Glaubenden möglich ist: "Dass man beieinander stehen bleibt und sich anschaut. Dass man einander zuhört und den anderen gelten lässt."

Am Ende des Stücks steht die Frage: "Was ist aus uns geworden?", das in einem langen Schweigen mündet, bis wieder das Licht anging. "Es war bewegend. Ich finde es gut, dass so etwas auf die Bühne gebracht wird", sagt Ex-Dompropst Norbert Feldhoff nach der Premiere. Seine Begeisterung teilte das Publikum mit großem Applaus.