In den nächsten Tagen bekomme ich und bekommen wir Besuch in unserem Erzbistum, dem ich mit großen Erwartungen entgegenblicke. Der heilige Vater in Rom entsendet Anders Kardinal Arborelius von Stockholm und den Bischof von Rotterdam, Johannes van der Hende. Beide sollen sich nach der unabhängigen Untersuchung vor Ort ein eigenes Bild von den Ergebnissen und Konsequenzen und der Situation im Erzbistum machen. Das ist aus der Ferne einfach nicht leistbar.
Ich bin froh, dass sich beide hier vor Ort einen eigenen Eindruck verschaffen können. Ich hatte ja schon einmal gesagt, dass wer auch immer sich an das Feld der Aufarbeitung heranmacht, allen auf die Füße tritt. Auch sich selbst. Und mir wird immer mehr bewusst, was die Aufarbeitung von Schuld alles auslöst und wie sie die Perspektive verdreht. Wer redet im Moment noch über Täter? Wer über die Betroffenen? Wer über Strukturen und Prozesse, die verändert werden müssen? Alles, was der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und der Bewältigung der komplexen Situation dient, ist gut. Ich finde es wichtig, dass in dieser Situation der Heilige Vater zwei apostolische Visitatoren zu uns geschickt hat.
Was ist nun eine apostolische Visitation? Es gibt wenig öffentliche Literatur darüber. Wenn Sie im Internet suchen, finden Sie dort die Deutung, es wäre eine Art Misstrauenserklärung. Diese Aussage findet sich in keinem kirchlichen Dokument. Sie findet sich auch nicht in dem Brief der Bischofskongregation, den ich erhalten habe. Hier heißt es vielmehr, dass „man mir persönlich und der mir anvertrauten Kirche in einer Zeit großer Bedrängnis und Prüfung beistehen“ möchte.
Und es ist doch tatsächlich so: durch die Aufarbeitung ist viel Unruhe in unserem Bistum entstanden. Ich bin aber der tiefen Überzeugung, dass wir als Christen nicht die Zukunft gewinnen können, wenn wir uns nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Aufarbeitung ist alternativlos. Der Blick der beiden Visitatoren von außen kann wertvolle Hinweise geben, was bei der Aufarbeitung schief gelaufen ist und was noch zu tun ist. Es ist eine Chance. Wir stehen noch am Anfang der Aufarbeitung und schon gibt es Gräben, die scheinbar immer tiefer werden. Dieses Gift der Polarisierung, dieses ausschließende „Du oder ich“, das offene Gegeneinander müssen wir als Christen überwinden. Ich habe an verschiedenen Stellen schon darauf hingewiesen: ich werbe für einen neuen Geist des christlichen Miteinanders. Auf diesen Weg möchte ich mich zusammen mit allen Menschen im Erzbistum machen.
Ihr
Rainer Woelki
Erzbischof von Köln