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Der Bronzeengel. Und so viel Leid.

Ein flammender Bronzeengel stürzt als Denkmal auf die Erde. Auf seinem Sockel steht: 16. November 1944.

Der Schutzengel ist ein beliebtes Symbol auf Gräbern. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Schutzengel ist ein beliebtes Symbol auf Gräbern. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Bronzeengel steht neben dem Rathaus in Düren am Kaiserplatz. Als Schülerin bin ich hier immer umgestiegen. Eilte frühmorgens quer über den Platz zur gegenüberliegenden Ecke, wo mich der nächste Bus zu meiner Schule brachte.

Wenn ich am Kaiserplatz mittags warten musste, habe ich weder den Engel noch das Datum, den 16. November besonders wahrgenommen.

Dennoch ist der 16. November seit Jahren ein besonderer Tag für mich. Es ist der Geburtstag von Jerzy Gross, der als Kind den Holocaust überlebte, weil er auf Schindlers rettender Liste stand.

2014 starb Jerzy. Seinen Geburtstag feiern wir, um seine Geschichte lebendig zu halten.

Während eines solchen Geburtstagsgedenkens fiel mir plötzlich der Kaiserplatz ein. Und der Bronzeengel. Und das Datum erinnerte ich auch:  16. November 1944.

Am 16. November 1944 begann um 15 Uhr 23 ein Bombenangriff auf Düren. 21 Minuten später war mehr als 99 Prozent der Stadt zerstört.

Als Schülerin haben mir diese Zahlen wenig gesagt. Jetzt verstört mich das Leid, das Hitler und Nazideutschland erst über die ganze Welt und dann über ihr eigenes Land brachten.

Als an jenem 16. November 1944 Düren zerstört wurde, wurde Jerzy im KZ 15 Jahre alt. Hatte gerade erfahren, dass nach Vater und Bruder nun auch seine Mutter verschwunden war.

Buchstäblich mutterseelenallein erkrankte er an Bauchtyphus. Seinen 15. Geburtstag verbrachte er in einem Versteck. Aus Angst vor Ansteckung hätten die Nazis sonst alle 125 Insassen seiner Baracke ins Gas geschickt.

Dieses Jahr werden wir Jerzys Geburtstag in Düren feiern. Sicher wäre er gerne mitgekommen.

Wichtig wäre ihm gewesen, dass ich auf die Verantwortung der Menschen in der Stadt verweise. Dass die Bomben nicht einfach nur vom Himmel gefallen waren. Sondern aus Flugzeugen von Nationen, die Deutschland zuvor überfallen hatte.

In all den Jahren mit Jerzy und seiner Geschichte habe ich gelernt, dass es hilft, in unsere menschlichen Abgründe zu schauen. Es hilft, dieses tiefe Erschrecken über das zu fühlen, wozu wir Menschen fähig sind.

Das Erschrecken wiederum hilft, es nicht so weit kommen zu lassen. Früher hinzusehen. Aufzustehen. Respekt und Anstand und Menschlichkeit nicht nur zu fordern. Sondern selbst aufzubringen.

Wunderbar ist, dass das jede und jeder von uns das einfach tun kann.