Wenn der Mann meiner im Sommer verstorbenen Freundin sich meldet, bin ich sofort ganz Ohr. Meine Freundin war in ihrer Familie wie eine Sonne, die alle im Blick hatte. Kein Wunder, dass auf ihrem Stuhl am Esstisch ein Schild angebracht war: Königin des Alltags.
In der Adventszeit lief die Königin zur Hochform auf. Das Gästezimmer wurde Weihnachtszimmer, das Wohnzimmer sowieso und auf dem adventlichen Esstisch fuhr die Eisenbahn, lieferte je nach Wunsch Milch, Besteck oder Salz.
Die Freundin hat aber nicht nur das Fest Weihnachten geliebt. Sie hat es auch geliebt, über Weihnachten zu predigen.
Für diese WunderBar habe ich in ihren Predigten nochmal gelesen. Die Freundin predigte immer mitten aus dem Leben. Da sie Pflegemutter war, taucht schon mal plötzlich ein Kind auf. Auch an Weihnachten.
„Unter dem Weihnachtsbaum, wo gestern noch die Päckchen sich stapelten, liegt ein Kind. Es braucht ein Quartier, für diese Nacht. Und weil das Gästezimmer gerade ein Weihnachtszimmer ist, liegt sie da unterm Baum.“
In einer anderen Weihnachtspredigt macht sie einen YouTube-Film zum Thema. Fast am Ende des Films steht ein Bibelzitat: Ich bin das Licht der Welt. Die Freundin endet ihre Predigt mit: „Sei du ein Licht in dieser Welt. Deshalb feiern wir Weihnachten, zünden viele Lichter an und beschenken uns gegenseitig. Die Weihnachtsgeschichte ist der Beginn eines Lebensentwurfes mit Aufforderungscharakter.“
Kein Zweifel, die Freundin hatte diesen Auftrag angenommen. Anstatt z.B. an einem Tag vor Heiligabend ihre lange Liste abzuarbeiten, übernimmt sie kurzerhand mit ihrer Familie das Krippenspiel im Altenheim am Ort. Samt neu aufgenommen Baby. Das „echte Jesuskind“ macht aus dem dösenden Publikum eine Schar anteilnehmender, sich um das Kind scharrender, hellwacher und sehr glücklicher Menschen. Die unerledigte Liste hat sie abends einfach: zerknüllt.
Während ich diese Predigten lese, frage ich mich, wie die Familie meiner Freundin wohl im ersten Advent ohne sie zurechtkommt?
Nun, der Mann meiner Freundin sagt: Zwei Nachrichten haben mich diese Woche sehr berührt. Die eine ist: Ich werde wieder Opa. Die zweite: Ich habe unseren Baum besucht. Genau an der Stelle, an der ich die Urne in die Erde gelegt habe, wächst ein Eichelantrieb heraus.