Schreibt mir ein Religionskurs nach einer Lesung über das Leben von Jerzy Gross, dem letzten Überlebenden von Schindlers Liste in Deutschland. "Es verfolgte uns nahezu in jeder Lebenslage in den nächsten Tagen, so dass wir jedem der es hören oder nicht hören wollte, erzählten", staunen die Schüler über sich.
Ich staune mit ihnen. Und freue mich sehr: denn dass Menschen von dieser sehr speziellen Mischung aus Musik, Buchlesung und Videos berührt werden, ist natürlich mein Ziel. Warum sonst sollte ich immer neu die Geschichte des kleinen Jerzys erzählen wollen, den die Nazis in zwei Ghettos und drei Konzentrationslager zwangen?
Immer noch erzählen, obwohl Jerzy Gross schon bald fünf Jahre tot ist, obwohl der Zweite Weltkrieg schon bald 75 Jahre vorbei ist und obwohl es so gar keinen Spaß macht, die abgründigen Grausamkeiten der Nazis vorzulesen.
Tja, obwohl das alles in der Tat genauso ist, bin ich wild entschlossen, diese Geschichte immer neu zu erzählen. Denn, davon bin ich überzeugt, nur wenn wir uns wirklich mit dem konfrontieren, was Menschen, Menschen antun können, halten wir diese abgründige Grausamkeit überhaupt erst für möglich. Und nur wenn wir diese Abgründe für möglich halten, werden wir wach und wachsam genug, menschlich und mutig genug und auch genug entschlossen sein, um neuen Grausamkeiten zu trotzen.
Der Reli-Kurs schreibt weiter: "Es scheint so, als wollten einige die Geschichte unter den Teppich kehren. Das darf nicht passieren! Wir müssen unsere Geschichte beeinflussen und immer wieder verändern und das solange, bis wir friedlich leben können."
Wow. Diese Schüler haben es verstanden. Wir müssen unsere Geschichte verändern, bis wir friedlich leben können – dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.
Der Kurs lädt mich ein, an ihre Schule zu kommen. Wie könnte ich da nein sagen? Der Kurs organisiert eine volle Aula - und so erzähle ich die Geschichte von Jerzy ein weiteres Mal, dieses Mal ihren Mitschülern, Eltern und Lehrern.
Im Publikum ist ein Vater, der seiner Familie nicht von seiner Zeit als junger Soldat in den 90ern im Jugoslawienkrieg erzählen wollte. Bis jetzt. Denn als seine Tochter über Jerzys Schicksal weinte, hat er doch den Mut gefunden, selber auch anzufangen zu erzählen.
So schafft Jerzys grausame Geschichte ein neues, tieferes Band zwischen Vater und Tochter.
Wie wunderbar ist das denn?