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Wir sterben, wie wir gelebt haben

„Steht Dir gut“, sagt eine Kollegin, als ich zu ihr ins Büro komme. Statt: „Danke“, oder „freut mich“, oder sonst was Adäquates sagen, texte ich die Kollegin mit der Geschichte der Weste zu.  

Kerzen an Allerheiligen / © Markus Nowak (KNA)
Kerzen an Allerheiligen / © Markus Nowak ( KNA )

Vordergründig ist das, was mir da gutsteht, eine schlichte, viel zu große Wollweste, die ich nur mit einem alten Ledergürtel bändigen kann und mir selbst wohl kaum gekauft hätte.

Aber die Weste ist auch ein Erbstück einer Freundin. Ihr Mann hat sie mir nach ihrem plötzlichen Tod in die Hand gedrückt.

Meine Freundin war eine wunderbare, eine sehr besondere Frau. Klug und kreativ. Schrieb Bücher und predigte den Himmel auf die Erde. Tüchtig und tatkräftig. Packte an, wo es nottat. Lachte viel und suchte immer nach Auswegen, wo Menschen, vor allem Kinder, in Sackgassen gerieten.

Zu Allerheiligen muss ich an sie denken. Und an den Spruch: Wir sterben so, wie wir gelebt haben. Diese Freundin ist gestorben, wie sie gelebt hat.

Haargenau so.

Als kleines Mädchen hat ein berittener Polizist sie auf dem Weg zur Schule ein Stück auf seinem Pferd mitreiten lassen. Damals hat sie beschlossen, nie ein Kind stehen zu lassen, das reiten wolle.

Eisern hat sie als Kind und Jugendliche gespart, hart hat sie vor und nach der Schule gearbeitet, einem Bauern eine Wiese abgerungen und ein Pferd, das sterben sollte, daraufgestellt. So fing es an.

Als ich sie kennenlernte, hatte sie vier erwachsene leibliche und acht Pflegekinder, eine kleine Herde Pferde auf der Wiese am Waldrand und einen Verein für therapeutisches Reiten.

Bei meinem ersten Besuch spielte an der Koppel eine Kindergruppe. Die Kinder aus einer Notaufnahmestelle wirkten erfahren und sicher im Umgang mit den imponierend großen Pferden. Fröhlich und ausgeglichen waren sie an jenem Morgen auch.

Im Sommer hatte die Freundin eine schreckliche Krebsdiagnose bekommen. Ungeheuer tapfer, tüchtig und tatkräftig stellte sie sich dieser Diagnose. Besprach alles Notwendige, so herzzerreißend ehrlich wie vernünftig geboten.

Als sie an einem Sommermorgen mit Mann und Kindern ausreiten wollte, stand ein kleines Mädchen mit ihrem Opa am Stall. Weinte, wollte mit. Weinte so sehr, dass meine Freundin ihr Pferd wendete, das Mädchen zu sich hochhob und sicher bei Ihren Eltern absetzte.

Auf dem Rückweg zum Stall, fünf Minuten später, brach ihr Pferd zusammen und begrub die Freundin unter sich. Pferd und Reiterin waren sofort tot.

Meine Freundin ist gestorben, wie sie gelebt hat.